"Patchwork"-Comic über das Anderssein: Doktor Beckwald geht jetzt putzen
In "Patchwork" erzählt Katharina Greve von einer Familie freundlicher Monster, von der Mutter selbst genäht. Ein Lehrstück über den Umgang mit Andersartigen.
"Frau Doktor Waldbeck näht sich eine Familie", so lautet der Untertitel zu Katharine Greves Graphic Novel "Patchwork". Wer einen Schnittmusterbogen oder eine Nähanleitung für das Zusammenstückeln einer eigenen Familie erwartet, wird enttäuscht. Das ist nichts zum Nachbasteln; schließlich ist Frau Dr. Linda Waldbeck Transplantationsforscherin und als solche besitzt sie herausragende Fähigkeiten.
Sie hat sich ihre Kinder Wei, Jan, Ben und Tim aus Bestandteilen einer Restekiste mit Humanabfällen zusammengesetzt und erfolgreich animiert. Darin gleicht sie Doktor Frankenstein und sie hat wie er monströs anmutende Gestalten in die Welt gesetzt: Kopffüßler und Beinkrakenwesen.
Zwar sind die Walbeckschen Minimonster durch und durch gutmütig und liebenswert und nicht so tumb wie das Frankensteinmonster, doch ihr ungeheuerliches Aussehen macht sie schnell zur Mediensensation. Ob Boulevardblatt oder seriöses Nachrichtenmagazin - das Waldbeck-Phänomen wird medial gemolken.
Anonymität bietet Schutz
Die Zeichnerin Greve zeigt ein paar Titelseiten und parodiert dabei ebenso witzig wie intelligent einige typische Hervorbringungen der deutschsprachigen Presselandschaft. Wenn etwa der "Komet" fragt, wie viel Hitler in Dr. Waldbeck stecke, oder wenn die in München erscheinende "mz" fragt, ob die Monsterfamilie Mooshammer auf dem Gewissen habe.
Derart gehäufte öffentliche Aufmerksamkeit führt bei den Betroffenen im nichtfiktionalen Leben in die Verzweiflung oder in den Rückzug. Genauso im Comic. Die Patchwork-Familie zieht sich zurück, wechselt den Wohnsitz und ändert den Namen in Beckwald. Die Anonymität bietet Schutz und damit die Gelegenheit, ganz alltägliche Sorgen zu entwickeln. Geldsorgen zum Beispiel.
Das ehemals bewohnte Haus ist unverkäuflich - Horrorhäuser sind auf dem Immobilienmarkt kaum veräußerlich. Frau Doktor Beckwald geht putzen. Die Kinder lernen langsam, sich so geschickt zu stapeln, dass sie als eine Figur auftreten können und - im Varieté - als Bauchredner.
Der Rassenhasser will den großen Knall
So inkorporiert, lassen sich auch Freunde finden. Geistreich entwickelt die Autorin ihre komischen Gestalten und deren Comic-Geschichte. Mag die Grundkonstruktion, dass sich eine Wissenschaftlerin ihren Kinderwunsch erfüllt, indem sie nähend und elektrisierend eigene Geschöpfe kreiert, noch surreal erscheinen - alles was in dieser Graphic Novel daraus folgert, würde so auch in der Realität passieren.
Ein Reporter macht sich auf die Suche nach dem Verbleib der Frau Doktor und deren lebenden Artefakten. Und natürlich gibt es in der Wissenschaftsszene Interessenten, die das nobelpreiswürdige Wissen einer mehrfach ausgezeichneten Forscherin für sich nutzen wollen.
Das ist auch in "Patchwork" so und Katharina Greve füttert ihren Stoff gekonnt mit Spannungselementen, die jedem gut gebauten Krimi gerecht werden. Da ist nämlich auch noch der rechtsradikalisierte und gewaltbreite Rassenhasser Schmitz, der als todbringender Bombenbauer für den großen Knall sorgt. Dass die Figur Schmitz angesichts der thüringischen NSU-Nazibomber diesen Comicroman atemberaubend zeitgemäß macht, ist lediglich ein weiteres Zeichen dafür, wie feinfühlig die Autorin auf gesellschaftliche Probleme reagiert.
Vom Anderssein mit Happy End
Aber sie problematisiert ja gar nicht. Sie erzählt vor allem eine Bildergeschichte. Eine Geschichte von Erfolg und Misserfolg, vom Sein und Anderssein, vom Sinn und Unsinn. Wer sich so der Wirklichkeit stellt und Geschichten so, dass sie wahr scheinen, zu Ende erzählt, findet oft ein untröstliches Ende. Doch Katharina Greves Geschichte hat ein Happy End.
Dabei ist sie zeichnerisch klar und ohne Schnörkel, ganz punktuell und zurückhaltend setzt sie Farben ein, hier als Schmuck ein plakatives Tapetenmuster, wie es in den 70er Jahren bevorzugt geklebt wurde, da ein gelber Schal, während der Rest der Seite mit Graustufen auskommt.
Für die Wahl ihrer grafischen Mittel erhielt sie 2010 den ICOM-Independent-Comic-Preis in der Kategorie "Herausragendes Artwork". Ihr Humor wurde im selben Jahr mit dem Deutschen Cartoonpreis für neue Talente ausgezeichnet, denn auch in der kleinen Form der kritisch heiteren Grafik, dem Cartoon, zeigt Greve, dass Sie eine Ausnahme ist.
Schon ihr 2009 erschienener Comic-Erstling "Ein Mann geht an die Decke" wurde zu Recht als herausragend gewürdigt. Mit "Patchwork" zeigt die 1972 in Hamburg geborene Wahlberlinerin, dass sie nichts mit der heißen Nadel näht. Das ist erstklassiger Stoff.
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