: Partnerschaft statt Abschreckung
■ Innerhalb der Christen–Union beginnt die längst überfällige Debatte zur Ausländerpolitik
Die Diskussion um Ausländerpolitik zieht in der Union weitere Kreise. Nachdem die CDU–Sozialausschüsse letzte Woche ausländerpolitische Thesen vorgestellt haben, die der innenpolitische Sprecher der CDU– Fraktion, Gerster, als „keinen hilfreichen Beitrag“ abqualifizierte, haben jetzt zehn Bundestagsabgeordnete der CDU in einem Brief „die wesentlichen Aussagen (des CDA–Papiers)“ als „bedenkenswert“ bezeichnet. Da die zehn Abgeordneten ihr Schreiben an den CDU–Generalsekretär Geißler, den Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU– Bundestagsfraktion Seiters und den Bundesminister im Kanzleramt Schäuble gerichtet haben, ist damit eine Diskussion sowohl in der Partei als auch in Fraktion und auf Regierungsebene eröffnet. An Bedeutung gewinnt der Brief auch durch den UnterzeichnerInnenkreis: Neben dezidierten VertreterInnen der Sozialausschüsse wie Heribert Scharrenbroich oder Werner Schreiber gehören dazu auch der als eher rechts bekannte ehemalige rheinland– pfälzische Innenminister Heinz Schwarz und der ebenfalls als Anhänger des konservativen Flügels bekannte Graf von Waldburg–Zeil sowie die Frauenpolitikerin Renate Hellwig und, als einziges (stellvertretendes) Mitglied der Innenarbeitsgruppe der Fraktion, Editha Limbach. Daß die CDU–Kontroverse an Schärfe gewinnen wird, hatte sich auch bei der Sitzung des CDU/ CSU–Fraktionsvorstands diesen Montag abgezeichnet, auf der Gerster und der für Ausländerpolitik zuständige Abgeordnete in der innenpolitischen Arbeitsgruppe, Olderog, das Vorgehen der CDA und den Inhalt des Papiers heftig kritisiert hatten. Die Möglichkeiten der Fraktionsspitze, die Auseinandersetzung schnell einzudämmen, sind allerdings begrenzt, weil die CDA als Parteigruppierung von der Fraktion unabhängig ist und andererseits auch die Fraktion über keine formulierte ausländerpolitische Linie verfügt. Bisher existieren lediglich „Stichworte zu einer ausländerpolitischen Konzeption“ des innenpolitischen Sprechers Gerster und eine Protokollnotiz der Innenarbeitsgruppe, die ausländerpolitischen Pläne des Innenministeriums betreffend. Die inhaltlichen Differenzen zwischen den Positionen von Ger ster und den Vorstellungen, die das CDA–Mitglied Müller letzte Woche vorgestellt hat, sind erheblich. Während das CDA–Papier davon ausgeht, daß „in einer sich ausdehnenden europäischen Gemeinschaft“ das „Leitbild des deutschen Nationalstaates mit ausschließlich deutschem Staatsvolk“ relativiert werden müsse und nicht mehr Gefahrenabwehr, sondern Partnerschaft Leitbild der Ausländerpolitik sein soll, beharrt Gerster auf dauerhaftem Anwerbestopp und legt Wert auf die Festlegung, daß die BRD kein Einwanderungsland sei. Die ausländerpolitischen Thesen der CDA führen die wachsende Ausländerfeindlichkeit auch „auf die ständige polemische Beschwörung solcher Grenzen (der Belastbarkeit)“ zurück und beharren darauf, „daß die Zuwanderer weder ghettoartig abgesondert, noch zwangsweise an deutsche Lebensweisen angeglichen werden (dürfen)“. Zur Frage des Zuzugs aus der Türkei äußert sich das CDA–Papier allerdings nicht. Es werde davon ausgegangen, war dazu zu hören, daß sich diese Problematik in 10–15 Jahren nicht mehr stellen werde: Bis dahin gebe es in der BRD aufgrund der demographischen Entwicklung wieder einen Bedarf an Arbeitskräften. Mit dieser These hat sich vor kurzem auch Kanzleramtsminister Schäuble, sehr zum Ärger der Zimmermann–Fraktion, in die Debatte eingemischt. Schäuble hat in einem Aufsatz in der kürzlich erschienenen CDU–Theoriezeitschrift Die politische Meinung formuliert: „Langfristig werden wir nicht umhin können, die Schrumpfung der deutschen Bevölkerung zumindest teilweise durch einen verstärkten Zuzug von Ausländern auszugleichen (...) Das bedeutet auch, daß wir nicht ausländerfeindlich werden dürfen, wozu zum Beispiel ein unkontrollierter Zustrom von Scheinasylanten heute führen könnte.“ Diese Position entspricht zwar nicht den Ansichten der CDA, die selbst für eine Verfestigung des Aufenthaltsrechts von nicht–anerkannten Asylsuchenden eintreten, sie wird aber als bündnisfähig angsehen. Das ist für das interne Kräftemessen der Union eine wichtige Einschätzung, weil Schäuble in der Ausländerpolitik eine besondere Rolle zukommt: Als Kanzleramtsminister ist er zuständig für die Koordination der teilweise im Innen–, teils aber auch in Außen–, Familien– und Arbeitsministerium angesiedelten ausländerpolitischen Fragen. Darüber hinaus hat Schäuble die Koordination der Ausländerpolitik zwischen Bund und Ländern in den Händen. Auf Kabinettsebene wird außerdem die Haltung der FDP einiges an Gewicht haben. Bisher hat der innenpolitische Sprecher der FDP, Hirsch, „teilweise Übereinstimmung“ zwischen FDP und CDA konstatiert: Beide seien der Meinung, „daß zwar die restriktive Einwanderungspolitik beibehalten werden müsse, aber in der Bundesrepublik lebenden Ausländern ein großzügigeres Integrationsangebot gemacht werden muß“. Allerdings befürchten CDA–Leute derzeit, daß die CDU–Mehrheit die FDP zum Schnüren eines Paketes bringen könnte, das wirtschaftspolitische Zugeständnisse an die FDP–Linie und eine Zustimmung der FDP zu Verschärfungen des Ausländerrechts umfassen könnte. Deswegen sei, so ist zu hören, der Brief der zehn CDU–Abgeordneten an Geißler, Seiters und Schäuble, der von etwa 40 weiteren Abgeordneten unterstützt werden dürfte, auch als Signal an die FDP zu verstehen, sich auf keine substantiellen Kompromisse in der Ausländerpolitik einzulassen. Wahrscheinlich ist allerdings nach dem heftigen Aufflackern des unionsinternen Konflikts, daß eine endgültige Kursbestimmung im Parlament nicht ohne vorherige Klärung auf dem CDU–Programmparteitag diesen Sommer erfolgt. Zwar ist in Geißlers Programmvorlage „Das christliche Menschenbild“ als Grundlage unserer Politik kein Kapitel zur Ausländerpolitik enthalten. Es existieren aber fertige Vorlagen, die allerdings hinter die CDA–Thesen, die unionsintern auf keinen Fall mehrheitsfähig sind, deutlich zurückfallen. Die eine haben der baden–württembergische CDU– Fraktionsvorsitzende Teufel und die West–Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John erarbeitet: In ihr wird für die Beibehaltung von Zuzugsbeschränkungen, für eine Integration von Ausländern durch verbesserte Möglichkeiten für sie, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen, und großzügigere aufenthaltsrechtliche Bestimmungen plädiert. Ein zweiter, dem Vernehmen nach restriktiverer, Entwurf von Johannes Gerster wird ebenfalls von Heiner Geißler unter Verschluß gehalten. Oliver Tolmein
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