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Partei ergreifen!

■ Der Staatsexpansionismus Saddam Husseins muß im Interesse der arabischen Gesellschaften gestoppt werden

DOKUMENTATION

Der Unterschied zwischen Suez und Kuwait, zwischen Nasser und Saddam Hussein ist so groß, als wenn jene Regime, die sich auf nationale Befreiungsbewegungen beriefen, aus einem anderen Jahrhundert stammten als die nationalistischen Führer von heute. Warum? Die nationalen Befreiungsbewegungen bildeten die notwendige erste Etappe der Bildung autonomer, eigenständiger Gesellschaften, die einen Weg eingeschlagen hatten, der zur Demokratie führen konnte. Die heutigen nationalistischen Führer dagegen, unter denen die feindlichen Brüder der Baath-Parteien in Syrien und dem Irak die wichtigsten sind, kämpfen nicht mehr, um sich von Fremdherrschaft zu befreien, sondern um ihre eigene Herrschaft auf Nachbarländer auszudehnen, im einen Fall also auf Libanon, im anderen auf Kuwait und Saudiarabien.

Frankreich ließ sich von Husseins jakobinischem Diskurs becircen

Als naiv und blind wurde gescholten, wer mit Jean-Paul Sartre glaubte, daß die nationalen Befreiungsbewegungen der 3. Welt verteidigt werden konnten, ohne die „kleinbürgerlichen“ Werte der westlichen Demokratie aufzugeben. Aber die Geschichte hat gezeigt, daß der Bruch mit der Kolonialherrschaft und die Entstehung neuer Nationalstaaten nach einer Periode der Unruhe ebensogut zur Bildung partiell demokratischer Regime führen konnte (wie es im größten Teil Lateinamerikas der Fall war und heute noch für Ägypten zutrifft) wie zu aggressiven Alleinherrschaften. Heute hat sich die Kluft zwischen beiden postkolonialen Regimetypen vergrößert: Es gibt die einen, die versuchen, ihren Binnenmarkt auszubauen und die ökonomische, soziale und politische Mitbestimmung der verschiedenen sozialen Gruppen zu vergrößern, und es gibt die anderen, die sich auf den Nationalismus, ja den religiösen Glauben stützen und versuchen, die Rolle des Staates als Beherrscher des Außenhandels und der entscheidenden Produktionszweige bis zum Geht-nicht-mehr auszudehnen.

Die bestimmenden Faktoren im Nahen Osten sind nicht mehr die Kolonialmächte, sondern der Überfluß an Ölvorhaben, die es einigen Staaten erlauben, eine eigene Machtpolitik zu betreiben, ohne sich um das Weltwirtschaftssystem und die Entwicklung ihrer eigenen Gesellschaften kümmern zu müssen. Dies ist der Fall für den Irak, Saudiarabien und Libyen, früher galt es auch für Algerien. Weil es immer schon von staatlicher Macht fasziniert war, ließ sich Frankreich von Saddam Hussein und seinem jakobinischen, laizistischen und revolutionären Diskurs becircen, genauso wie sich linke Intellektuelle von dem frühen Khomeini faszinieren ließen, als der noch als Zerstörer der Alleinherrschaft des Schah galt. Derartige Verwirrungen sind heute nicht mehr möglich.

Werden die Petro-Oligarchien durch Kriegsregime ersetzt?

Heute geht es folglich nicht allein darum, die Ölversorgung des Westens gegen den irakischen Expansionismus zu verteidigen - auch wenn durch ihn die Situation eines unvermeidbaren internationalen Konflikts entstanden ist -, sondern auch und vor allem darum, ein autoritäres Regime in seinen militärischen Eroberungen aufzuhalten und einen Raum zu verteidigen, in dem sich die politische und wirtschaftliche Entwicklung einiger Länder abspielen kann. Es ist nicht anzunehmen, daß die gegenwärtige Krise zu einem Status quo ante zurückführen wird. Wahrscheinlicher ist, daß die zerbrechlichen Petro-Oligarchien entweder durch Kriegsregime ersetzt werden oder durch Regierungen, die eine wirtschaftliche Entwicklung und politische Öffnung anstreben. In Algerien ist die Oligarchie bereits zusammengebrochen und trotz des überwältigenden Erfolgs der FIS (Islamische Oppositionsfront, d. Red) wäre es übertrieben zu glauben, daß eine Politik der politischen Öffnung von einer Politik der kulturellen Abschottung vollständig und unausweichlich abgelöst werden wird. Die Reformpolitik hat in Marokko an Gewicht gewonnen und scheint sich auch in Tunesien zu verstärken. Ägypten fühlt sich stark genug und ist sich über seine ureigensten Interessen ausreichend im klaren, um sich deutlich gegen den irakischen Expansionismus zu engagieren. Man möchte annehmen, daß auch die christlichen Fraktionen des Libanon sich ihrer geschichtlichen Verantwortung noch erinnern werden, die libanesische Idee zu retten, also die Idee einer Gesellschaft, die jenseits ihrer Ungerechtigkeiten und Schwächen reich ist an Freiheiten und eine reelle kulturelle und ökonomische Autonomie gegenüber dem Staat besitzt.

Auf der anderen Seite möchte der Irak, nachdem er den iranischen Kreuzfahrergeist besiegt hat, seine Panzer und Chemiewaffen für die Macht seines Staates mobilisieren. Es ist ganz entscheidend, daß diese Politik gestoppt wird, weil es heute nicht mehr darum geht (wie es die Mittelmeerstaaten Frankreich, Spanien, Italien) so lange Zeit in so vagen Begriffen getan haben), eine „arabische Politik“ zu retten, sondern darum, Partei zu ergreifen für die Öffnung und gegen die Abschottung, für den Frieden und gegen den Krieg, für die Gesellschaft und gegen den Staat, und dies in der arabischen Welt ebenso wie überall sonst auch.

Gegen den Staat und für die Gesellschaft

Frankreichs Politik seit Beginn der Krise war insofern richtig, als sie sich nicht vollständig der amerikanischen anschloß, welche sich auf die Sicherung der westlichen Ölversorgung mittels moderner Kanonenboote zu beschränken scheint. Aber es wäre zu wünschen, daß sich ein weniger defensiver und gewichtigerer Diskurs Gehör verschafft, denn die französischen Vorsichtsmaßnahmen wiegen wenig verglichen mit der entscheidenden Initiativmacht der USA. Frankreich muß (neben einer Bestätigung seiner Unterstützung Arafats und der palästinensischen Nationalbewegung, an der auch deren Unterstützung Husseins nichts ändern darf) klarmachen, daß es nach wie vor an die Möglichkeit einer Evolution der arabischen Welt hin zu einer sozialen Entwicklung glaubt, deren Hauptfeind heute die Allmacht und der aggressive Dünkel des Staates ist.

Die Entscheidung fällt nicht mehr zwischen Petro -Oligarchien und aggressiven Diktaturen; sie fällt zwischen der Versuchung des Krieges, die durch die unermeßlichen Ölvorräte und die innere Schwäche der Gesellschaften verstärkt wird, und der Entwicklung dieser Gesellschaften. Wir sprechen zu oft von Hilfe für die 3. Welt und geben uns mit humanitären Aktionen zufrieden. Wir müßten uns, nicht als Franzosen oder Angehörige des Westens, sondern als Demokraten für all das engagieren, was Gesellschaften öffnet, und gegen alles, was die Grenzen der autoritären oder totalitären Staaten abschließt. (...)

Wir müssen auch aufhören, von der arabischen Welt zu sprechen, einem Begriff, der ebensowenig Sinn macht und ebenso gefährlich ist wie derjenige Europas im Jahre 1936. Ergreifen wir Partei für einige arabische Länder und gegen andere. Im Nahen Osten hat das Regime Saddam Husseins noch nicht einmal die ursprüngliche Legitimität der islamischen Revolution. Nichts erlaubt es, dieses autoritäre und repressive Militärregime als Hoffnungsträger einer Nation zu sehen, die sich auf eine freie Gesellschaft hin entwickeln möchte. Deswegen gibt es heute keinen Grund für die Reaktionen, die viele Demokraten nach der Nasserschen Befreiung hatten. Wir müssen anerkennen, daß das Schlechte auch an jenen Orten seinen Platz hat, wo man gestern noch auf die Befreiung der Völker hoffte.

Alain Touraine

Aus 'Le Monde‘ vom 26./27. August 1990. Übersetzung: smo

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