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Paris öffnet die Pforten für „Hades“

■ Staatspräsident Mitterrand erteilt Produktionsauftrag für die umstrittene Nuklearrakete, die Berlin, Prag, Warschau und Budapest im Visier hat

Aus Paris A. Smoltczyk

Vor den Augen einiger tausend SommerfrischlerInnen, die zum Baden an die Atlantikküste südlich von Bordeaux gekommen waren, stieg am Dienstag Frankreichs neue Atomrakete in den Himmel - „Hades“, das Nachfolgemodell der „Pluton„ -Kurzstreckenreakete und in der Lage, Ziele innerhalb einer Reichweite von 480 Kilometern zu vernichten. Ein Radius also, innerhalb dessen sich die Zielobjekte Berlin, Warschau, Prag und Budapest befänden, wenn Hades in Ostfrankreich stationiert würde. Der fünfte Test der Hades war vorher nicht angekündigt worden, vermutlich, um kurz nach dem Londoner Nato-Gipfel nicht unnötig deutlich zu machen, daß Frankreichs Strategen an Umdenken nicht interessiert sind.

Gestern nun wurde bekannt, daß Präsident Mitterrand schon Mitte März den beteiligten Firmen Arospatiale und Thomson den Auftrag erteilt hat, die ersten (man spricht von etwa fünfzig) Hades-Raketen komplett fertigzustellen. Die staatliche Atomenergiebehörde CEA wird die entsprechende Zahl von Sprengköpfen unterschiedlicher Stärke, aber bis zu 90 Kilotonnen, liefern. Von einer Bestückung mit Neutronenbomben, wie ursprünglich geplant, sah der Präsident noch einmal ab. Stationierungsorte sollen Suippes und Mailly in der Champagne werden.

Auf die Proteste der zukünftigen Zielscheiben aus Mitteleuropa, die noch im Frühjahr an den Stationierungsorten demonstriert hatten, antworteten die französischen Generale obstinat. Hades richte sich nicht gegen Städte, sondern gegen Truppenansammlungen und militärische Infrastruktur. Verteidigungsminister Jean -Pierre Chevenement bekräftigte gestern gegenüber 'Le Monde‘ Frankreichs militärpolitisches Dogma, wonach „prä -strategische“ Atomraketen wie Hades als „letzte Warnung“ für eine glaubwürdige Abschreckung unverzichtbar seien: „Angesichts der strategischen Leere, die sich im Herzen Europas abzeichnet, muß Frankreich (...) ein erstrangiges militärisches Instrumentarium besitzen“, meinte Mitterrands Minister.

Gerade gegenüber einem ökonomisch überlegenen Deutschland müsse Frankreich jetzt „alle seine Stärken mobilisieren. Insbesondere muß es seine politische und militärische Kapazität aufrechterhalten.“ Chevenement erinnerte in diesem Zusammenhang wiederholt an die Niederlage von 1940 und das Vichy-Regime, die beide nur möglich gewesen seien, weil die damaligen Regierungen auf eine falsche Verteidigungsstrategie gesetzt hätten. Einsparungen im Abschreckungsbereich, in der Marine und der Luftwaffe lehnte der Minister ab. Lediglich das Heer könnte von 290.000 auf 250.000 Mann verkleinert werden.

Heute, am 14. Juli, feiert Frankreich seinen Nationalfeiertag. Als einziges und letztes demokratisches Land der Welt mit einer Militärparade...

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