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Paris: Teilerfolg für Streikende

■ Lohnleitlinien für die streikenden Eisenbahner zurückgenommen / Urabstimmung vorgesehen

Von Antje Bauer

Berlin (taz) - Blockierte Gleise, zerschnittene Bremskabel, angezogene Notbremsen - am Neujahrstag verkehrten in Frankreich noch weniger Züge als während der vorangegangenen 14 Streiktage. Dabei hatte die Direktion der Staatsbahn SNCF den streikenden Eisenbahnern in der Nacht zum Donnerstag ein wichtiges Zugeständnis gemacht: Die neuen Lohnleitlinien, die ab 1. Januar 1988 in Kraft treten sollten, wurden zurückgezogen. Die Lohnleitlinien sahen die Ablösung der automatischen Gehaltserhöhung entsprechend dem Dienstalter und statt dessen die Einführung von Prämien vor, die auf Vorschlag des jeweiligen Vorgesetzten zugeteilt werden sollten. Außerdem sollten die Prämien von der Finanzlage der SNCF abhängen. Die Eisenbahner kritisierten an dem Konzept, daß sie für den Erhalt der Prämie völlig vom guten Willen ihrer Vorgesetzten abhängig sein würden. Auf das Einlenken der SNCF– Direktion reagierten die Streikenden jedoch mißtrauisch: Zum einen verlangten sie schriftliche Zusagen, zum anderen wollten sie den Streik so lange aufrecht erhalten, bis ihre anderen Forderungen bezüglich einer Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen durchgesetzt seien. Heute soll eine Urabstimmung über eine Fortsetzung des Streiks entscheiden. Wenn auch mit der Rücknahme der Lohnleitlinien dem Streik möglicherweise der Wind aus den Segeln genommen wurde und auch die Pariser Verkehrsbetriebe, die ebenfalls einige Tage gestreikt hatten, am Neujahrstag wieder normal funktionierten, so ist doch ein Ende der Proteste noch nicht abzusehen. Für kommenden Dienstag ist ein Streik der staatlichen Elektrizitäts– und Gasgesellschaft EDF–GDF angekündigt, in einer Reihe von Frachthäfen wird gestreikt, und im südfranzösischen Departement Tarn sind seit nunmehr vier Wochen von Arbeitslosigkeit bedrohte Grubenarbeiter im Ausstand. Fortsetzung auf Seite 6 Kommentar auf Seite 4 Die Regierung Chirac, die am Mittwoch wegen des Eisenbahnerstreiks zu einer Sondersitzung zusammengetreten war, hatte durch ihren Sprecher etwas hilfslos verkünden lassen, sie lasse sich trotz der Streiks in ihrer Wirtschaftspolitik nicht beirren. Wie schon bei den Studentenprotesten hatte die Regierung auch beim Streik der Eisenbahner auf den nagenden Zahn der Zeit, auf wachsenden Unmut in der Bevölkerung sowie auf die eigene Hals starrigkeit gesetzt - und ein weiteres Mal mit dieser Taktik Schiffbruch erlitten. Der Unmut in der Bevölkerung hatte sich eher gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung als gegen die Streikenden gewendet. Und die Zeit hatte die Streikbewegung nicht geschwächt, sondern im Gegenteil zwei Koordinationskomitees hervorgebracht, die parallel und teilweise in Konkurrenz zu den Gewerkschaften den Streik koordinierten. Nach langer Untätigkeit hatte die Regierung schließlich den Staatssekretär Francois Lavondes als Schlichter eingesetzt. Wenn sich der lange Streik auch desaströs für das Image der Regierung Chirac auswirkt, so gibt es doch einen, der auch aus diesem Konflikt Vorteile für sich selbst zu ziehen weiß: Staatschef Francois Mitterrand präsentierte sich ein weiteres Mal als Vater der Nation. In seiner von Rundfunk und Fernsehen übertragenen traditionellen Neujahrsbotschaft appellierte Mitterrand an die Franzosen, alle die Nation spaltenden Themen aus dem Weg zu räumen. Unter Anspielung auf den Eisenbahnerstreik in Frankreich sagte der Präsident, bei derartigen Konflikten müsse der Geist der Toleranz und der Wille zum Dialog über Verweigerung und Ablehnung siegen.

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