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■ Papstpredigt aus dem HimmelPapa Gondola

Bei der katholischen Kirche kriselt es nicht nur, wenn ihr viele Schäfchen weglaufen. Nein, es ist ihr eigentlich auch nicht recht, wenn ihr plötzlich eine große Herde zuläuft. Von den 110.000 Andachtsanhängern, die sich bisher für den Papstbesuch am 23. Juni angemeldet haben, passen nämlich nur 70.000 in das Olympiastadion. Jetzt will der Stellvertreter Christi einen Altar an der Stelle aufbauen, wo sonst die Schale für das Olympische Feuer steht, damit weitere 15.000 Schäfchen den Hirten vom Maifeld aus sehen und reden hören können. Müssen also die restlichen 25.000 Gutgläubigen, die weder einen Sitzplatz im Stadion noch auf dem Maifeld finden werden, an jenem fernen Sonntag vor der Glotze hocken? Natürlich nicht.

Denn wenn Papst Johannes Paul II. erst einmal in sich geht, wird ihm klar werden, daß das Problem mit dem Publikum leicht zu lösen ist: Gottes erster Mann auf Erden muß nur noch höher hinaus wollen als bisher. Denn je weiter sich der Dogmatiker vom Erdenboden entfernt, desto größer wird die Menge jener, die ihn von dort unten aus sehen können. Noch ist also Zeit, die Veranstaltung etwa auf den Alexanderplatz zu verlegen, damit Johannes aus der Silberkugel des Fernsehturms predigen kann. Sollte die Höhe von 203 Metern auch nicht genügen, um die ganze Masse visuell und akustisch zu erreichen, bleibt noch immer eine Möglichkeit mit Erfolgsgarantie. Je nach Andrang könnte ein Hubschrauber den Papst in einer Glasgondel in die Lüfte heben und ihn dort oben etwa den Bann aufheben lassen, den seine Kirche vor 475 Jahren über Martin Luther verhängte. Papa Gondola würde allein deshalb um vieles glaubwürdiger wirken als auf dem Rasen des Olympiastadions oder neben dem Feuer der Olympiaflamme, weil er dem Schöpfer der Welt viel näher wäre. Dirk Wildt

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