: Panama: „Ein Land unter Vormundschaft“
■ Ein Gespräch mit dem panamaischen Soziologen und Publizisten Raul Leis über die Situation in Panama ein knappes Jahr nach der Invasion durch die USA
Der Soziologe Raul Leis leitet das „Institut für Studien und soziale Aktion“, das seit 1977 panamaische Basisgruppen mit Weiterbildungskursen und Beratung unterstützt. Außerdem ist er ist Herausgeber der unabhängig-linken Zeitschrift 'Este Pais‘, die in Panama-Stadt erscheint. Leis war kürzlich auf Einladung des Informationsbüros Nicaraguas auf einer Reise durch die Bundesrepublik.
taz: Die US-Invasion in Panama liegt elf Monate zurück. Wer regiert das Land heute?
Raul Leis: Wir haben eine Regierung, die quasi unter Vormundschaft steht. Wichtige Entscheidungen werden nicht ohne das Einverständnis der US-Regierung gefällt. Dafür gibt es eine Reihe Indizien: Die neue Polizeitruppe ist von ihr gegründet worden und wird direkt von den US- Truppen hier — nach unserer Schätzung etwa 15.000 Leute — beraten.In jedem Ministerium gibt es ein Verbindungsbüro der Amerikaner, und wenn ein Minister im Land herumreist, dann wird er immer von einem hochrangigen US-Offizier begleitet. Die angekündigte Wirtschaftshilfe von 420 Millionen Dollar hat Washington an die Umsetzung des Strukturanpassungsprogramms des Internationalen Währungsfonds durch die Regierung gekoppelt.
Wird die US-Regierung mit dieser Regierung auch versuchen, den Kanalvertrag, der ja mit der Jahrtausendwende die Souveränität auf Panama übergehen läßt, neu zu verhandeln?
Das wird sie gar nicht nötig haben. Der Spielraum der Regierung Panamas, irgend etwas von den USA einzuklagen, ist ohnehin minimal. Die USA brauchen dann ja nur mit einer unterwürfigen Regierung einen Stationierungsvertrag auszuhandeln, etwa wie in Spanien.
Kann man jetzt eigentlich eine genauere Bilanz der Verluste und Schäden ziehen, die die Invasion verursacht hat?
Da war erst einmal der Wirtschaftsboykott vor der Invasion: Er hat das Land etwa zwei Milliarden Dollar an Devisen gekostet. Die Invasion selbst hat noch einmal Schäden im Wert von zwei Milliarden Dollar verursacht — einschließlich der Plünderungen, die ja ihr unmittelbare Folge waren. Unser Bruttosozialprodukt wird in diesem Jahr zwischen 25 und 30 Prozent abnehmen.
Die Angaben darüber, wieviel Menschenleben sie gekostet hat, gehen weit auseinander. Die USA sprechen von etwa 300, die meisten von ihnen Militärs. Die katholische Kirche redet von 675 Toten, die Mehrzahl von ihnen aus der Zivilbevölkerung. Menschenrechtsorganisationen sagen 3.000 bis 4.000 Tote — das sei noch eine niedrige Schätzung. Beide Regierungen haben kein Interesse, daß die genaue Zahl ermittelt wird.
Es wurden bisher zwölf Massengräber entdeckt, aber nur zwei davon geöffnet und untersucht. Die anderen liegen in der Mehrzahl in der Kanalzone, und da bräuchte man ja das Einverständnis der USA. Besonders viele Tote gab es in dem Armenviertel Chorillo (in dem Noriegas Hauptquartier lag und das von der US-Armee dem Erdboden gleichgemacht wurde, d.Red.). Von den einst 14.000 Bewohnern sind noch 3.000 offiziell obdachlos — die meisten anderen sind irgendwo bei Verwandten untergekommen. Diese Obdachlosen leben in einem Flugzeughangar, jede Familie in einem drei mal drei Meter großen Raum, der durch Bettlaken von den Nachbarräumen getrennt ist. Lebensmittel bekommen sie geliefert, aber die sanitären Bedingungen sind so miserabel, daß schon Epidemien, u.a. Meningitis, ausgebrochen sind.
Das Stadtviertel wiederaufzubauen, ist nicht geplant?
Der Staatspräsident hat es versprochen, aber bis jetzt passiert nichts. Statt dessen bekommt jede Familie, die auf ihre Ansprüche verzichtet und woanders hinzieht, 6.500 Dollar auf die Hand. Was natürlich nicht reicht, um sich eine noch so billige Wohnung zu kaufen. Und eine Entschädigung für die Angehörigen der Toten gibt es auch nicht.
Die USA haben die Invasion vor allem mit der Notwendigkeit begründet, den über Panama laufenden Drogenhandel auszutrocknen. Was haben sie, außer der Verhaftung Noriegas, dafür getan?
Zahlen gibt es nicht, aber Anzeichen dafür, daß der Drogenhandel noch zugenommen hat. Vorher war es ein Monopolgeschäft, heute gibt es mehrere Konkurrenten. Selbst Präsident Endara wird ernsthaft beschuldigt: Banken, für die er seinerzeit als Anwalt gearbeitet hat, sollen am Waschen von Drogengeldern beteiligt sein.
Wie sehen die psychischen Folgen der Invasion aus? Ist das panamaische Volk in Depression verfallen?
Da muß man verschiedene Phasen unterscheiden. Im ersten Moment gab es bei der Mehrheit Freude, ein Gefühl der Befreiung. Man erwartete sich — ähnlich übrigens wie in Nicaragua beim Wahlsieg von Chamorro — Frieden und ein Ende des Wirtschaftsboykotts durch die USA. Danach gab es eine Phase der Hoffnung: Man begriff, daß die Invasion nicht nur ein chirurgischer Schnitt war, um Noriega und seine Gefolgsleute loszuwerden — aber man erwartete Geld aus den USA und eine effiziente Regierung. Jetzt sind wir in der dritten Phase, in der Zeit der Enttäuschung: Die Wirtschaftshilfe ist ausgeblieben, und die Regierung zeigt sich unfähig, die elementarsten Probleme anzugehen. Umfragen zufolge kritisieren jetzt 60 Prozent der Bevölkerung die Invasion und die Regierung.
Das äußert sich auch in den ständigen Demonstrationen. Fast jeden Tag gibt es irgendeinen Protestmarsch, einen offenen Brief von Gewerkschaftern, Campesinos, Indianern. Die Stimmung bei den meisten ist: Wir vertrauen überhaupt keinem Politiker und keiner Partei mehr. Ein Indiz dafür ist, daß relativ viele, wenn sie nach ihrem Wunschpräsidenten befragt werden, den Musiker Rubén Blades nennen.
Und die Linke, der Sie sich auch zurechnen? Hat die ihr Gleichgewicht durch die Ereignisse in Osteuropa verloren?
Was da passiert ist, zieht uns den Boden unter den Füßen weg. Wenn jetzt überall die USA als Führer der Demokratie erscheinen, wenn die traditionelle Linke kein sozialistisches Rückzugsgebiet mehr hat, dann muß sie sich jetzt den Kopf zerbrechen und etwas ganz anderes ausdenken — etwas, das nicht an Modellen, sondern pragmatisch an den Erfahrungen der Menschen ausgerichtet ist.
Es zeichnet sich ja eine multipolare Welt ab, in der die Vorherrschaft der USA über ganz Amerika von keiner Weltmacht mehr in Frage gestellt wird. Worauf können denn die Volksbewegungen Lateinamerikas noch hinarbeiten?
Klar ist, daß Lösungen wie in Kuba oder eine sozialistische Machtübernahme in El Salvador keine Unterstützung mehr bekämen. Jetzt sind regionale Lösungen gefragt, die in den betroffenen Staaten entwickelt werden müssen. Auch zur Politik des Internationalen Währungsfonds gibt es keine einfachen Alternativen.
Noriega hat ja gerade bei ärmeren Panamaern Rückhalt gehabt. Wie gehen denn die Basisorganisationen mit den damaligen Anhängern des Diktators um? Wird mit denen zusammengearbeitet?
Unter den Anhängern Noriegas hat es korrupte Leute gegeben, aber auch solche, die sich einfach als Nationalisten verstanden. Wenn heute ein Protestmarsch gegen Preiserhöhungen stattfindet, dann wird natürlich nicht gefragt, wer auf Noriegas Seite stand. Aber die Noriega-Partei PRD (Partido Revolucionario Democratico) traut sich nicht aufzutreten. Wenn die PRD ihre Fahne heraushängen würde, kämen die Leute wohl kaum. Interview: Michael Rediske
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