Palästinensischer Historiker über Trump: „Ein kolonialistischer Akt“
Trumps Vorstoß muss von den Palästinensern klar als Provokation empfunden werden, sagt Sami Adwan, Direktor vom Forschungsinstitut Prime.
taz: Herr Adwan, die Tatsache, dass US-Präsident Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennt, ändert konkret nichts. Warum dann die große Aufregung?
Sami Adwan: Es stimmt, dass die illegalen Schritte mit der Annexion Ostjerusalems durch Israel 1968 anfingen, und sich vor Ort akut nichts verändert. Die Frage ist, was die amerikanische Regierung gerade jetzt zu diesem Schritt motiviert, wo klar ist, dass er von den Palästinensern als Provokation empfunden werden muss. Die Leute fühlen sich an die Balfour-Erklärung erinnert.
Vor genau 100 Jahren…
… entschied England, dass es in Palästina einen jüdischen Staat geben solle. Hier wird ein Muster bedient. Warum soll Trump darüber entscheiden, dass Jerusalem Hauptstadt Israels ist? Er hat nichts damit zu tun. Dies ist ein durch und durch kolonialistischer Akt.“
Rechnen Sie mit erneuter Gewalt?
Die Leute sind verletzt und werden reagieren. Die Erfahrung lehrt uns, dass Proteste schnell außer Kontrolle geraten können. Ich hoffe, dass das nicht passiert, aber es ist nicht vorauszusehen, wie sich die Leute verhalten werden. Es gibt auch auf unserer Seite extremistische Kräfte, die versuchen werden, mit dieser Entwicklung erneute Gewalt zu rechtfertigen. Mit welchen Emotionen Jerusalem verbunden ist, konnten wir erst im Sommer beobachten, als Israels Sicherheitsmaßnahmen in der Altstadt zu Protesten führte. Eine Intifada ist durchaus möglich. Wie heftig und wie lang es dauert, hängt auch an der Haltung der arabischen Staaten.
ist Direktor von Prime, dem Peace Research Institute in the Middle East, und Dozent für Pädagogik an der Universität in Bethlehem
Für die palästinensische Führung hat sich Donald Trump als Vermittler im Friedensprozess disqualifiziert. Welche Alternativen bleiben?
Aus der Perspektive der USA mag es kontraproduktiv sein, aber Trump hat Palästina wieder ins Bewusstsein der internationalen Öffentlichkeit befördert. So hat diese schlechte Entscheidung auch ihr Gutes. Das Thema Besetzung lag viel zu lange in der Schublade, und die Welt darf nicht vergessen, dass hier ein großes Problem noch immer auf Lösung wartet. Wer weiß, was sich aus der aktuellen Krise noch entwickeln wird.
Was könnte das sein?
Eine unilaterale und so klar proisraelische Entscheidung muss die muslimischen Staaten zusammenschweißen und für die palästinensische Sache aktiv werden lassen.
Und Europa?
Wir würden uns natürlich wünschen, dass die EU eine klare Position einnimmt, aber Europa hat selbst gerade große Probleme mit den Flüchtlingen und dem Aufkommen der rechten Parteien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“