Pakistan: Tote bei Anschlag nahe Roter Moschee
Am Tag der Wiedereröffnung der Roten Moschee hat es in Islamabad einen schweren Anschlag gegeben. Koranschüler protestierten gegen Präsident Musharraf.
DELHI taz Kurz nach der Wiedereröffnung der Roten Moschee in der pakistanischen Haupstadt Islamabad kam es dort erneut zu tödlicher Gewalt. Bei einem Selbstmordanschlag in der Nähe des Gotteshauses sind am Freitag mindestens zehn Menschen getötet worden. Der Anschlag wurde inmitten einer Gruppe von Polizisten verübt, die sich in der Nähe der Moschee aufhielten.
Die nach der Erstürmung vor zweieinhalb Wochen beschädigte Moschee war erst am Morgen zum traditionellen Freitagsgebet unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen wiedereröffnet und sofort von radikalen Muslimen besetzt worden. Mehrere hundert meist männliche Studenten der angegliederten Islamschulen hinderten den von der Regierung ernannten neuen Imam Mohammad Ashfaq, das Gebet zu beginnen, und verlangten die Freilassung und Rückkehr von Abdul Aziz, dem früheren Vorbeter und Bruder des beim Sturm der Moschee vor zwei Wochen getöteten Abdul Rashid Ghazi. Die Demonstranten skandierten Schimpfworte gegen Präsident Musharraf und verlangten den Rücktritt seiner Regierung. Sie drohten, das Blut ihres getöteten Führers Ghazi werde eine "islamische Revolution" hervorrufen. Die Polizei ging schließlich mit Tränengas gegen die Demonstranten vor.
Monatelang hatten die Brüder Aziz und Ghazi mit hunderten KoranschülerInnen den Gebäudekomplex besetzt, bis am 10. Juli schließlich Sicherheitskräfte den Einsatzbefehl zum Sturm auf die Moschee bekamen. Bei den folgenden tagelangen Kämpfen kamen über 100 Menschen ums Leben. Die Regierung hatte den neuen muslimischen Vorbeter Ashfaq eingesetzt, um die fundamentalistische Ausrichtung der Moschee zu überwinden. "Man sagte mir, alles würde friedlich sein. Ich hatte von Anfang an kein Interesse an der Aufgabe, und jetzt werde ich es bestimmt nicht mehr machen", sagte der Imam.
Nach der neuerlichen Eskalation stellt sich wieder die Frage, ob die Regierung noch die Kontrolle über alle ihre Organe ausübt. Dem sonst allgegenwärtigen Militärgeheimdienst ISI, dessen Hauptquartier in unmittelbarer Nachbarschaft zum Moscheekomplex liegt, war kaum verborgen geblieben, dass Pläne bestanden, die Moschee wieder zu übernehmen. Viele der Aktivisten am Freitag waren erst Tage zuvor wieder freigelassen worden und deshalb zweifellos im Blickfeld der Sicherheitsdienste.
Bereits in den fünf Monaten vor der dramatischen Eskalation der Stürmung hatten Medien immer wieder gefragt, warum der ISI, in dessen Sold die beiden Brüder standen, nicht fähig war, die Lage zu entschärfen. Die Ereignisse vom Freitag werden zweifellos erneut zu Spekulationen führen, wonach Kreise innerhalb des militärischen Establishments gegen den Kurs Musharrafs opponieren, sei es, dass ihnen sein "gemäßigter Islam" widerstrebt oder weil sie an seiner Demontage interessiert sind und eine Ablösung anstreben. Unter die radikalen Madrassa-Studenten hatten sich am Freitag auch Anhänger der islamischen Parteienkoalition MMA gemischt. Dies könnte bedeuten, dass diese nun versuchen, auf dem Rücken der nun führungslosen Studenten die Initiative zurückzugewinnen, die sie in den Monaten während der Besetzung der Moschee verloren hatten. Sie hatten die Bewegung um Mullah Rashid Ghazi zwar verbal unterstützt. Dieser hatte ihre Avancen, etwa als Vermittler zu dienen, jedoch zurückgewiesen. Es war ein deutliches Zeichen, dass die Jamaat Islami und die anderen Mitglieder der MMA-Koalition bei den radikalen Klerikern auf Misstrauen stießen, weil sie als korrupt und mit dem Regime Musharrafs verbandelt gelten.
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