: Pätzold will „volle, totale Öffnung der Polizei“
■ SPD-Polizisten suchen Weg zur „Bürgerpolizei“ / Pätzold: „Gewalt der Mächtigen gefährlicher als Straßengewalt“
I N T E R V I E W
Wedding. Einmal im Jahr treffen sich die „Sozialdemokraten in der Polizei“ zum Joachim-Lipschitz-Forum. Am vergangenen Samstag diskutierten auf dem Forum im Weddinger Rathaus erstmals auch Polizisten aus Ost-Berlin mit. Die taz fragte Erich Pätzold nach Verbesserungen in der Ausbildung, zur Einführung von Namensschildern, zu Veränderungen in der Einsatzplanung und zur Zukunft ehemaliger Stasi-Mitarbeiter, die noch in der Führungsebene der Volkspolizei sitzen.
taz: Sie haben hier auf dem Forum erklärt, daß sie die „volle, totale Öffnung der Polizei“ wollen. Was heißt das?
Erich Pätzold: Es geht darum, daß man die Polizei in der Ausbildung, in der Fortbildung und selbst im alltäglichen Leben nicht von der übrigen Bevölkerung abschotten darf. Das war in Berlin nur selten gegeben, wie etwa in der Ausbildung, während der Polizisten kaserniert waren und nur unter sich lebten. Das haben wir bereits geändert. Die Polizei muß in jeder Hinsicht in die Gesellschaft integriert sein.
Wo hat sich die Arbeit der Polizei noch geändert, damit es eine demokratische Öffnung nach außen gibt?
Ich glaube nicht, daß die Polizei im ganzen noch einer demokratischen Öffnung bedarf. Aber unsere Veranstaltung hat wieder gezeigt, daß viele Polizeibeamte wünschen, daß die Polizei im wahrsten Sinne des Wortes für den Bürger dasein soll. Aber immer wieder bei geschlossenen Einsätzen, wenn sich zum Beispiel aus einer Demonstration oder anderen Veranstaltung heraus Gewalttätigkeiten entwickeln, kommt es zur Konfrontation. Die wollen wir abbauen. Wir brauchen inneren Frieden und nicht nur innere Sicherheit. Die Polizei muß gegenüber auch sehr kritischen Menschen, die nichts Strafbares getan haben, ihre Maßnahmen allein auf den Kern derer konzentrieren, die das Gesetz brechen. Sie darf nicht handeln, ohne genau hinzusehen, wie es von der Politik in der Vergangenheit provoziert wurde. Ich sage sehr bewußt dazu: So sehr mich etwa Straßengewalt negativ beeindruckt, die Gewalt der Mächtigen im weißen Kragen, mit Steuer- und Bankgeheimnis vermummt, mit schmutzigem Geld - auch in der Politik - ist die gefährlichere. Die Polizei bleibt gegenüber den kleinen Leuten und den kritischen Bürgern nur glaubwürdig, wenn sie dort ihre Schwerpunkte setzt.
Wie wollen Sie das konzeptionell umsetzen?
Am kreativsten sind Runden, wo die verschiedenen Beteiligten ihre Erfahrungen und Wünsche einbringen. Deshalb bilden wir jetzt für die vielen großen Reformvorhaben immer gleich gemischte Arbeitsgruppen aus Polizei, der Senatsverwaltung, aus Gewerkschaften und Personalräten.
Auf Demonstrationen soll es eine wesentliche Änderung nicht geben: das Namensschild für unter Helmen versteckte Polizisten.
Wir haben so viele Reformen in der Polizei durchzusetzen, die sehr viel wichtiger als Namensschilder sind. Wir wollen nicht gegen die Gewerkschaften und die Polizisten eine Kennzeichnung von oben überstülpen, die jede Offenheit für unsere vielfältigen Reformvorhaben verschüttet.
Wenn es bald nur noch eine Polizei gibt, werden dann die treuen SEDler und Stasi-Mitarbeiter aus der Führungsebene der Volkspolizei übernommen?
In einem sensiblen Bereich wie der Polizei muß man mit den Sicherheitsanforderungen sehr besonnen umgehen. Die Leute, die im Polizeiapparat den alten Machthabern willfährig gedient haben, können nicht in Führungspositionen sitzen bleiben. Ich glaube, darüber sind die sich selbst im klaren.
In Berlin haben wir eine der höchsten Polizeidichten der Welt. Die Alliierten wollten, daß die Berliner mögliche Unruhen immer unter sich bewältigen können und nie die Hilfe ausländischer Militärs benötigen. Werden Sie Polizisten entlassen?
Die Verwaltungen in Berlin müssen sparen. Wir haben auch nicht die Polizei davon ausnehmen können. Es entfallen immerhin manche Aufgaben, obwohl auch andere Aufgaben neu auf die Polizei zugekommen sind. Die Kriminalität erhöht sich natürlich auf die Rate, die in anderen Weltstädten üblich ist. Ohne daß die Polizei dessen vielleicht Herr werden könnte, etwa beim Ladendiebstahl. Wenn der Ladenbesitzer nicht selber den Täter stellt, wie soll das ein Polizist im Nachhinein schaffen?
Das Interview führte Dirk Wildt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen