: PSYCHODRAMA
■ Englische Woyzeck-Kaboodle-Version in der UFA-Fabrik
Lee Beagley, Autor, Regisseur und Darsteller der englischen Gruppe Kaboodle hat aus Büchners „Woyzeck“ ein neues Stück gebastelt: Woyzeck wird in eine Anstalt eingeliefert und von einer Ärztin untersucht. Passagen aus Büchners Drama tauchen als Erinnerungen des Patienten auf.
„Woyzeck“ als Untersuchung eines psychiatrischen Falles darzustellen und mit den Mitteln der Groteske zu inszenieren, entspringt dem Konzept der Gruppe, mit populären Formen unseres Jahrhunderts ein theaterungeübtes Publikum anzusprechen und mit Witz und Kolportage in die Geschichte zu locken. Doch über dem theatermissionarischen Eifer hat Kaboodle übersehen, daß ihr Thema „die Beziehung zwischen Gesellschaft und Außenseiter“ (laut Programmheft) historischen Entwicklungen unterliegt.
Die Einführung der verständnisvollen Ärztin, die die Zurichtung Woyzecks mit heutigen Augen betrachtet, bricht zum einen die Absolutheit des menschenverachtenden Systems, mit dem Woyzeck auf ein bloßes Versuchs-Objekt reduziert wird: Woyzeck wird so zum Opfer einiger durchgedrehter Offiziere und Wissenschaftler, aber nicht zum mißbrauchten Werkzeug der Macht an sich. Zum anderen bietet die Figur der Ärztin dem Publikum eine sehr einfache Identifikationsfigur: mitleidsvoll vollzieht man die Qualen Woyzecks nach, muß sich aber nicht mehr mit seinen Autoritätskonflikten auseinandersetzen.
Die Person der Ärztin, die so entsetzt auf den Fall der Zerstörung eines Menschen aus dem 19. Jahrhundert reagiert, suggeriert dabei auch einen allgemeinen Zuwachs an Sensibilität, Erkenntnis und Achtung vor der Würde des Menschen. Dabei gerät aus dem Blick, wie sich die Mechanismen der Unterdrückung und Zurichtung verändert haben und an welche Orte sich die gesellschaftlichen Methoden, Außenseiter zu produzieren und zu funktionalisieren, verschoben haben. Das Spiel mit der Form hat die Härte des Stückes vermindert und die Darsteller verschenken ihre Stärken. In Lee Beagleys Woyzeck-Interpretation schimmert die genaue Beobachtung einer zerstörten Identität durch. Er verkriecht sich in seinem großen Körper und findet den Kontakt nach außen kaum noch. Er erlebt seinen Wahn ohne Sensation und theatralisches Pathos als ständige Irritationen und die Unfähigkeit, wirklich anwesend zu scheinen. Doch aus der Betroffenheit, in die seine ständigen Bewegungen des Rückzugs den Zuschauer versetzen, werfen einen die stilistisch völlig anderen Auftritte Denise Evans, die alle übrigen Rollen spielt, wieder heraus. Mit Klamauk, Groteske und Slapstick karikiert sie die Quälgeister Woyzecks: Doktor, Hauptmann und Tambourmajor. Aber die grimassierende Parodie der Büchnerschen Gestalten verwischt deren Ungeheuerlichkeit: die grausame Absurdität ihrer Logik kommt besser zur Geltung, wenn sie als normal Funktionierende und nicht als Maniacs charakterisiert werden.
Katrin Bettina Müller
Woyzeck in der Kaboodle-Version; Englisch-Kenntnisse erforderlich. UFA-Fabrik, Theatersaal 20 Uhr, täglich bis 17.7.
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