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PRIMA LEBEN UNTERM STIEFEL

Montagsexperten kommen zu Wort: Enno Bohlmann  ■ Ü B E R L E B E N S H I L F E ‘ 8 9

Nachdem die Adjektive „zynisch“ und „menschenverachtend“ und noch mehr ihre Kombination (ohne Pause zu sprechen) endgültig als mentales Lachgas abgeschrieben sind und daher selbst ihren hartnäckigsten Usern nicht mehr kompatibel erscheinen, ist es an der Zeit, neue Wortfelder an sich zu reißen, um sie bis zum Abwinken zu schurigeln. Tatsächlich hat sich der besinnungslos um sich selbst windende Dämlichkeitsdiskurs rotiert und zwei neue Worte aufgetan: Metropole und Weltstadt. Das Metropolengeschwätz mit dem Weltstadtrhythmus hat beste Chancen, zum Leitartikelhit und Meinungsdauerbrenner der kommenden Monate zu avancieren von den ehedem diskursmäßig lancierten „urbanen Lebenswelten“ mag eh kein Schwein mehr reden. Der derzeitige Ausnahmezustand (vergleichbar Florenz beim alljährlichen Touristenüberfall) wird dabei prahlerisch als Metropolengefühl und Weltstadttrubel verhökert. Der billige Jakob ist nix dagegen.

Um die ganze Angelegenheit in die richtigen Metropolenbahnen zu lenken, sollte man sich allerdings frühzeitig darüber Gedanken machen, wer um Weltstadtswillen eigentlich und überhaupt als Metropolenmaterial brauchbar ist. Kurz gefragt: wer ist mv - metropolenverwendungsfähig. Ein zu schaffender Metropolenrat (bestehend aus Vertretern aller Parteien, beider Kirchen, der Gewerkschaft, des Arbeitgeberverbandes, der Hochschulen, der caritativen Vereine und der Kulturschaffenden) bzw. eine Weltstadtprüfungskommission müßten das Metropolenmaterial (d.h. die künftigen Metropolenbewohner) auf ihre Metropolentauglichkeit hin untersuchen, wobei es genügte, fünf Tauglichkeitsgrade zu unterscheiden: T1, T2, T3, T4 und T5.

T5 heißt nmv: nicht-metropolenverwendungsfähig. Darunter fallen Nörgler, Nichtjubler und Unbelehrbare.

T4: die mit diesem Prädikat versehenen Kandidaten dürfen sich nächstes Jahr zur erneuten Aufnahmeprüfung melden - z.B. eingefleischte Kiezgläubige, die aber guten Weltstadtwillens sind.

T3: mit Einschränkungen metropolenverwendungsfähig, als U-Bahnfahrgastmasse oder Bürgersteigfüllmenge, um Metropolenhetze und Weltstadtgeschiebe zu verbreiten - z.B. Prüflinge, die ohne weiteres „Berlin-New York“ assoziieren können, aber bei „Berlin-Metropole-Mitteleuropa“ noch ein wenig holpern.

T2: Standardmetropolenmaterial, das befugt ist, über das Lebensgefühl der Metropole zu reden, insbesondere hat es die Erlaubnis, über das zukünftige Mitteleuropa samt dem abendländischen Städtefünfeck Berlin-Warschau-Prag-Wien -Budapest zu räsonieren.

T1: Metropolenidentifizierte LeitartiklerInnen, Richtungsweiser in eine aber auch sowas von dermaßene Metropole. Dieses Prädikat wird nur an Berliner Metropolenpioniere verliehen, die über London, Paris, Rom oder Athen allenfalls das erfahrene Weltstadtnäschen rümpfen. Popelkram gegenüber unserer 1a-Metropole.

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