PRESS-SCHLAG: Klassenauftrag nicht erfüllt!
■ Die Fußball-Oberliga der DDR, zuletzt als Oberliga Nordost getarnt, hat ihr revolutionäres Ziel verfehlt
Ihre historische Mission hieß Sieg. Ihr Schicksal war die Niederlage. Als die besten Fußballspieler im Osten Deutschlands 1948 der DS-Liga zugeteilt wurden, war ihr Auftrag vom Deutschen Sportausschuß (DS) längst erdacht: Der Sieg der Arbeiterklasse und ihrer balltretenden Sportfreunde in Stadt und Land über das — historisch längst im Abseits stehende — Bürgertum war auf dem Fußballplatz torreich zu erstürmen. Dieser revolutionären Pflicht genügte die Oberliga der DDR seit ihrer ersten Saison.
Als es 1950 zum echten Endspiel zwischen Horch Zwickau und der SG Dresden-Friedrichstadt kam, gewann die Betriebssportgemeinschaft der Automobilwerke gegen die dem bourgeoisen Dresdner SC entsprungenen Kicker mit 5:1. Merkwürdige Entscheidungen eines wahrscheinlich parteidisziplinär gedrillten Schiedsrichters verleiteten das aufgebrachte Dresdner Publikum zu Tomatenwürfen auf den SED-Vorsitzenden Walter Ulbricht. Hochoben in der Ehrentribüne thronend, konnte er nicht wie der „beeierte“ Helmut Kohl in Halle persönlich Hand anlegen. So drohte er anscheinend den Dresdner Kickern mit Verhaftung wegen versuchter Aufwiegelung. Die jedenfalls flüchteten prompt und kollektiv in den Westen. Helmut Schön gelang 24 Jahre später als Trainer des Fußball-Weltmeisters BRD eine geringe Rache.
Ab sofort konnte aber das Fußball spielende Proletariat unter sich die Meister des Landes ermitteln. Turbine Halle etwa wurde doch 1952 nicht DDR-Meister, weil die Hallenser am geschicktesten an die Lederkugel traten, sondern weil die Turbine-Kicker „die Legende vom unpolitischen Sport“ am scharfsinnigsten durchschauten. Sie schrieben der 'Neuen Fußball- Woche‘: „Wir verpflichten uns, in allen Sektionen unserer BSG gesellschaftspolitische Zirkel zu bilden.“ Anscheinend störten die ständigen politischen Diskussionen aber bald das Training, es blieb der letzte Meistertitel für Halle.
So konnten die Kollegen von Turbine Erfurt (1954 und 1955), Carl-Zeiss Jena (1968 und 1970) und vor allem die Kumpel von Wismut Karl-Karx-Stadt (1955-1957, 1959 und 1967) die Regie übernehmen, bevor sie dann von den Fußballern der bewaffneten Organe ausgebremst wurden. Dominierten zunächst die Armee-Kicker von Vorwärts Berlin (1958, 1960, 1962, 1965-1966 und 1969), mischten später die Sport-Polizisten von Dynamo Dresden (1971, 1973, 1976-1978, 1989-1990) und vor allem die fußballspielende Diensteinheit der Stasi, BFC Dynamo, immer kräftiger die Rasen- und Klassengegner auf.
Der BFC wurde gar zehnmal ohne Unterbrechung (1979-88) Landesbester, was ihm in Europa nur die bulgarischen Armeefußballer von ZSKA Sofia nachmachten. Das kurz vor Ableben der Liga ein Verein mit dem klassenneutralen Namen Hansa Rostock in die Siegerliste kam, dokumentiert nur den kompletten Sieg des übermächtigen kapitalistischen Feindes: Dem BFC Dynamo und Dynamo Dresden waren längst alle halbwegs talentierten Kicker, von Thom bis Sammer, von Doll bis Kirsten, weggekauft.
Dies konnte von umsichtigen Fußballfunktionären und Sicherheitsfetischisten lange verhindert werden, wenn man von einigen „Fußballverrätern“ absieht, deren Seitenwechsel in den Westen stets mit erniedrigender Medienschelte im Osten begleitet wurde. Am Ende hätten sie es in der Bundesliga gut und gerne zu einer „Dissidenten- Elf“ bringen können. Tor: Pahl (Halle); Abwehr: Götz (BFC), Nachtweih (Halle), Weiß (Aue); Mittelfeld: Eigendorf (BFC — verstorben), Weber (Dresden — geschnappt), Schlegel (BFC); Angriff: Sparwasser (Magdeburg — überaltert), Lippmann (Dresden), Richter (Karl-Marx-Stadt), Kruse (Rostock). Ersatzmann: Kotte (Dresden — Fluchthelfer); Trainer: Berger (Halle — arbeitslos).
Aber auf die Spannung neuer fußballerischer Fluchtversuche wird man in Zukunft genauso verzichten müssen wie auf die Oberliga-Konferenz-Übertragung von Radio DDR, den „Meisterpokal des Staatsratsvorsitzenden der DDR“ oder den „Silbernen Fußballschuh“ des Fachblattes 'Fußballwoche‘(FuWo). Der Höhenflug in die professionelle Bundesliga oder der Absturz ins amateurhafte Gekicke trennt die über Jahrzehnte vereinten Klubs der DDR seit vorgestern. Statt Aktivist Brieske Senftenberg gegen Chemie Buna Schkopau und Volksstimme Babelsberg gegen Fortschritt Weißenfels heißt es nun: Hansa Rostock gegen Bayern München oder Dynamo Dresden gegen den 1.FC Köln. Statt um Klassenkampf geht es nur noch um den Klassenerhalt. bossi
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