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PRESS-SCHLAGHunger kam nicht auf

■ Fastenwanderung von Lübeck zum Bodensee

Naß, erschöpft und glücklich kamen sie in Heiligenberg an, die 21 Fastenwanderer und ihr Leiter Christoph Michl, der schon viele Fastenwanderungen organisiert hat. Diesmal waren sie durch ganz Deutschland gewandert, in Lübeck ging es am 9. Juni los, ihr Ziel war der Bodensee. Über tausend Kilometer in knappen 21 Tagen waren zu überwinden, pro Tag rund 50 Kilometer mit beträchtlichen Höhenunterschieden verlangten allen das Äüßerste ab. Zu Beginn waren es 31 Teilnehmer, einige hatten sich ohnehin kürzere Strecken zugemutet, nur drei Ausfälle gab es — wegen Fußproblemen.

Unter strenger ärztlicher Betreuung wurde dieses Vorhaben durchgeführt. Dr. Peter Kienzle von der Reha-Klinik Heiligenberg untersuchte die Teilnehmer des Fastenmarsches in vier Etappen. Gleich zu Beginn wurden Blut und Urin untersucht, ein EKG und eine neue Methode zur Messung der Körpergewebszusammensetzung, die bioelektrische Impedanzanalyse, gehörten mit dazu. Diese Untersuchungen wurden wöchentlich wiederholt, zuletzt in der Reha-Klinik Heiligenberg abgeschlossen. Dr. Kienzle ist Leiter dieser Klinik, er beschäftigt sich schon 13 Jahre mit dem Thema Fasten und promovierte an der Universität Heidelberg-Mannheim über körperliche Belastung im Fasten. In wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Klinikum Mannheim werden nun Veränderungen in Blut und Urin sowie Eiweißabbau und Muskelstoffwechsel untersucht.

Ein solches Fastenexperiment hatte 1964 bereits Dr. Aly in Schweden durchgeführt, bei dem 500 Kilometer in zehn Tagen von Wasserfastern bewältigt wurden. Die Skepsis der Fachwelt konnte durch den überraschend guten Befindenszustand der Hochleistungsfaster widerlegt werden.

Diesmal hatte man sich die doppelte Strecke vorgenommen, allerdings mit Tee-Saft-Fasten, das dem Körper Vitamine und Mineralien zuführt. Ein bis zwei Teelöffel Honig und abends die Gemüsebrühe kamen hinzu, rund 300 Kalorien am Tag ergab dies, es wurde viel Wasser und Tee getrunken. Hunger kam nicht auf.

Dafür gab es Bein- und Fußbeschwerden, wegen ungünstigen Schuhwerkes mußten einige pausieren oder ganz ausscheiden. Die erste Woche war am schwierigsten, danach ging es allgemein besser. Dr. Gudrun Spitzner, eine mitmarschierende Ärztin, sprach von steigendem Wohlbefinden während der drei Wochen. Das Tempo habe sich gesteigert, so daß neu hinzukommende Teilnehmer nicht mehr mithalten konnten. Sie habe in der DDR schon Tag- und Nachtmärsche über hundert Kilometer an einem Stück gemacht, und sich essend dabei nicht so in Hochform gefühlt wie jetzt beim Fasten. Teilnehmer von über 50 Jahren bestätigten den Leistungszuwachs, der Älteste war 75 Jahre alt.

Der feierliche Akt des Fastenbrechens fand in Heiligenberg statt, mit einem Apfel, der nach 21 Tagen die erste feste Nahrung war. Alle waren froh, den Marsch glücklich beendet zu haben. Nach einer warmen Brühe zog man gestärkt weiter, vorerst in strömendem Regen, auf Schusters Rappen zum Reiseziel, der Fastenhochburg Überlingen. Dorothea Schmiechen

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