PREDIGTKRITIK: Wie Saulus an der Tür
■ Die Bekehrung des Saulus am Breitscheidplatz
Es ist ein Sonntag der Wunder. Das Evangelium berichtet von der Heilung eines Taubstummen, in der Epistel — gleichzeitig Predigttext des heutigen Tages — geht es um die wundersame Bekehrung des Saulus. Der war nämlich eigentlich ein fanatischer Gegner dieser »Sekte des neuen Weges« und war berufsmäßig in Sachen Christenverfolgung unterwegs. Bis ihm plötzlich ein Licht erschien, mitten auf dem Weg nach Damaskus, es blendete ihn und erschreckte ihn wohl auch. »Saul, Saul, warum verfolgest du mich?« sprach eine Stimme von oben und fortan fehlte dem Saulus das Augenlicht.
Hilflos wie ein kleines Kind sei der fanatische Christenverfolger plötzlich gewesen, verdeutlicht uns Superintendent Erwin Gerlach von der Kanzel der Kaiser-Wilhelm- Gedächtniskirche herab die menschliche Katastrophe des Saulus, der nun von seinen Begleitern nach Damaskus geführt werden mußte, drei Tage und drei Nächte lang nicht aß, nicht trank und nicht sah. Dann endlich hatte der Herr ein Einsehen und errettete den Unpäßlichen aus der hausgemachten Not: Er schickte ihm den gottesfürchtigen Hananias, der dem Blinden die Hände auflegte und den ärgsten Widersacher Gottes mit Heiligem Geist erfüllte. So wurde aus Saulus Paulus und aus einem Gegner ein Werkzeug Gottes.
Der Herr habe die schwache Kraft des Saulus umgekehrt in eine starke, die dem Aufbau der jungen Gemeinde diente, erläutert der Superintendent die Botschaft dieses Wunders. Und er erinnert uns damit daran, daß die christliche Gemeinde letztlich allein eine »Sache Gottes« sei. »Das Sein oder Nichtsein der christlichen Gemeinde kann der Mensch nicht bestimmen, selbst ein Fanatiker wie Saulus nicht!« Gott lenkt, Gott gibt, Gott nimmt. Da müssen wir uns keine Sorgen mehr über die vielen Kirchenaustritte machen, schließlich ließ der Herr uns auch Christenverfolgung, Kreuzzüge und die ideologischen Kampfansagen von Nazis und Kommunisten überstehen.
Wichtiger ist schon die Frage, ob wir uns in der von Gott gesandten Katastrophe — sei es Blindheit, Krankheit oder Armut — schließlich richtig verhalten. Ob wir in der Not den Wink Gottes erkennen, ob wir die Blinden, Kranken und Armen so aufnehmen, wie Saulus in Damaskus aufgenommen wurde, und ob wir, wie es Hananias tat, in der Stunde der Prüfung dem richtigen Mann am richtigen Ort die richtige Hand auflegen. »Was wird man uns sagen, wenn wir elend wie Saulus in die Stadt kommen? Was sagen wir, wenn uns einer wie Saulus an unsere Tür tritt und um ein paar Mark bettelt?« fragt Erwin Gerlach mit getragener Stimme und entläßt uns mit diesen Worten in den sonnigen Wunder-Sonntag.
»Haste mal 'ne Mark, ich bin ein Werkzeug Gottes«, fragt mich ein Junky auf dem Weg zum Bus. Na, wenn das so ist... Klaudia Brunst
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen