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Archiv-Artikel

PETER UNFRIED NEUE ÖKOS Spanisch? So ein Scheiß

Moderne Kinder essen keine Würstle, sollten aber Schwäbisch sprechen können. Finde ich

Das Telefon klingelt. Hm. Abendessenszeit. Auf dem Display steht „Opaland“, das heißt, ich muss abnehmen.

„Jetzt gebat doch eire Kender ab ond zu a mol a Wirschtle“, sagt eine Stimme. Der Metzgermeister persönlich. Normalerweise ruft die Oma an. „Otto“, sage ich, „schön, dass du anrufst.“ Gebruddel in der Leitung. Irgendwas in der Richtung, dass Fleisch auch in Berlin nicht verboten sei.

„Das liegt nicht an Berlin“, sage ich, „die Kinder selbst wollen keine Würstle.“

„M’r koas au ib’rtreiba mit dem Ekofimm’l“, brummt er.

Hihi. Offenbar ist Opa gerade mal wieder an der Modernität meiner Kinder verzweifelt. Immer wenn die beiden in Opaland sind und abends zusammen vespern, dann sagt er: „Ha, jetz ässat doch wenigschtens so a klois Wirschtle.“ Er fuchtelt dann mit dem Würstle vor Penelopes Gesicht rum. „Des isch guad. Des han i sälb’r g’macht“. Dass die beiden Vegetarier sind, weiß er. Aber es ist für ihn kein Zustand.

Als sie zurück sind, frage ich Adorno: „Und, was war so los auf dem Land?“

„Drei Beerdigungen. Und einmal fuhr der Krankenwagen mit Blaulicht.“ Toll. Das heißt, dass ganz schön was los war.

„Und der Opa?“

„Wollte unbedingt, dass wir Wirschtle essen“, sagt Penelope.

Vielleicht sollte ich erwähnen, dass die Macht und ich miteinander in unserer Geburtssprache sprechen. Unsere Kinder verstehen uns zwar – aber sie selbst können kein Schwäbisch. Früher dachte ich, das sei zivilisatorischer Fortschritt. Aber seit ich Baden-Württemberg plötzlich gar nicht mehr so schlimm finde, denke ich: Das kann so nicht weitergehen.

„Also, Leute, ihr müsst jetzt vernünftig Schwäbisch lernen.“

„Du bist ja total hobbylos“, knurrt Adorno, „wozu soll das gut sein?“

„Es ist eine Weltsprache.“

„Spinnst du?“

Gar nicht. Schwaben sind überall. „Baden-Württemberg ist eine wichtige Wirtschaftskraft in Europa, weltweit führende Dichter und Denker sind von dort und der 5.000-Meter-Olympiasieger Dieter Baumann.“ „Wer?“

Banausen.

„Außerdem haben wir für so was gar nicht die Zeit.“

„Papperlapapp“, sage ich, „für Spanisch oder so einen Scheiß habt ihr auch Zeit. Ich melde euch zur Schwäbisch-Nachhilfe an.“

Penelope wird jetzt richtig sauer. „Ich habe nicht vor, mit den Dorfdeppen auf Kühen zu reiten und mich den ganzen Tag zu fragen, wer wohl in dem Krankenwagen mit Blaulicht lag“, sagt sie schrill.

Okay, wir Dorfdeppen ritten früher auf Kühen, aber was tut das zur Sache? „Ohne Schwäbisch habt ihr keine Zukunftsperspektive“, schreie ich.

„Lieber Vater“, sagt Penelope kühl und steht auf: „Ich ess kein Wirschtle und ich lern kein Schwäbisch.“ „Und ich schon gar nicht“, kräht Adorno. Abgang.

Im Flur höre ich die Worte „total bescheuert“ hallen.

In dieser Sekunde weiß ich, wie der Metzgermeister sich fühlen muss. Alleingelassen. Elend. Heimatlos.

Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber