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PERFORMEN FÜR FREUNDE

■ Zwölf Stunden Finissage der Gallery SOTODO

Am Ende des GELD KIRCHE STAAT Projekts der Gallery SOTODO sammeln sich die Genossen für eine letzte Nacht. Sie kommen aus der Danckelmannstraße 19 (dem Herzen der Bestie (Staat), von daheim oder nur so. Fischbüro. An den Wänden essen Dreiecksköpfe Fisch. Ictus INRI. Urgemeinde. Katakomben. Eine Falltür, eine Leiter. Neben der Leiter liegt still aufgebahrt eine Gipsleiche. Stalagtiten, Stalagniten, schwarz gebrannte Holzkreuze stehen schräg im Untergrund.

Schutt und Geröll, weiße Leinwände stehen in der Kellerlandschaft herum. Cellophanplanen schützen die Zuschauer vor den Aktionsmalern in weißen Blaumännern, roten Helmen und Schweißerbrillen. Claude MAZET, 'ne en 1945, vit a Paris, und Christian Spork blasen mit Windmaschinen Farbpigmente auf die zugekleisterten Leinwände, spritzen Blau und Grün dazwischen. Aus den Lautsprechern tönt Industriegefahr - dann Wienerkaffeehausmusik. Feuerfährten werden gelegt. Plötzlich knallt es ganz furchtbar laut und die neugierigen Zuschauer weichen zurück. Rauch steigt auf, Brandflocken fliegen. Aufgeregtes Französisch bedeutet Gefahr. Styroporkrümel geben den Bildern letzte zufällige Raffinessen. Niemand weiß, wie lange das dauert. Die Bilder sind sehr schön geworden - „par hazard“.

Andere performen im Frontkino; Mirik und Luna Goldstein. Mirik malt in Stereo, an beiden Handgelenken Taschenlampen. Ein sommerlicher Baß und eine in erster Linie durchdringende Geige begleiten sie. Rote Wunden, grüne Ränder, Phosphoraugen; ein blaues Männchen oder Frauchen entsteht.

Unter Genossen erscheint die brüderliche Kritik erst einmal harscher und agressiver als in der identitätslosen Hochkultur. Axel, „die Dose“, Nestles Textperformance wird verspottet. „Weichteilstakkato“ mit Höhen („Pirsch: 'Hunger‘ -Mann: 'Zwoachtzig.‘ Pirsch gibt dem Mann ein Stück Papier. Schlau eingefädelt das. Der Mann will das Papier von Pirsch. Dazu lockt er mit Nahrung...“) und Tiefen („Weil Selma das Loch hat und Pirsch nicht, machen Selma und Pirsch Liebe.“) Yam Yam (Stephanie Köhne und Martin Luithel) mit Ausschnitten aus ihrer Performance „Ach Fjodor so verliebt ins Leben“ werden verhöhnt.

In Fragmenten, im noch nicht Geschlossenen lernt man die Teilstücke schätzen, ein Stroboskoplichtstakkato stürzender Soldaten zum Beispiel oder einen Jandl-Text. Alles Grau ist in England grün. „Sag mal, spinnst du“, werden die Künstler wiederholt gefragt, verteidigt von anderen gegen den Vorwurf der Unkunst: „Hör mal, mein Schwanz, das ist Kunst, und dein Schwanz ist keine Kunst.“ So gab ein Wort das andere, bis der Morgen begann und Scott Shatz, „der nackte Mann“, sich auszog und einrieb und anmalte. Stimmen erklären ihn: „Der Körper ist ein Seismograph meiner Identität. Ich bin ein Kondom.“ Jemand mischt sich penetrant ein, „Ich bin bescheuert“, wird auf die Bühne gebeten, eingeschmiert und integriert. „I can't get an erection on stage.“ Die Wogen der Begeisterung schlagen hoch im Frontkino.

„The End Speak Uni-Lag“ sind am Ende der absolute Höhepunkt. Kurze Zeit, Anfang der Achtziger, waren die „Flying Lizards“ die Besten. Lynda Williams und Pam Holland sind besser. Das sind aufgedrehte, überdrehte Spielzeuge, eine Mischung aus überdrehten Japanern oder Hare Krishna Jüngern und aufgeregten Amerikanern, rhythmisch, ohne doch in die Falle der Dialektik traditioneller Rockmuster zu tappen. Kein Versprechen, keine Erfüllung, nur Jetzt. Unisoner Gesang, „Damdadamdadamdaddamdadamdaddam hey...“ Om. Marx Brothers, Dick und Doof. Ein Kopfstoß gibt den anderen. Das werden sich Leute ausgedacht haben, die nie schlafen und glücklich darüber sind.

Frühstück fliegt durch die Luft. Theodor („Theo“) di Ricco, Organisator der SOTODO Gallery, wird gefeiert. Es ist acht Uhr morgens und eigentlich an der Zeit, eine großartige Sexorgie zu feiern. Das nächste Mal.

Detlef Kuhlbrodt

„Ach Fjodor, so verliebt ins Leben“ am 5. u. 6.8., 20h im Statthaus am Böcklerpark. Gallery SOTODO am 20.8. im Fischbüro; mit wem, wird noch bekanntgemacht.

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