: PDS-Vize gesteht Millionen-Geschäft
Das Verwirrspiel um die 107 PDS-Millionen endete gestern mit einem vollen Geständnis des PDS-Schatzmeisters/ Gysi äußerte den „Wunsch“ nach sofortigem Rücktritt und bat um Bedenkzeit ■ Aus Berlin Klaus Wolschner
Eine halbe Stunde mußten die Journalisten gestern im traditionsreichen Karl-Liebknecht-Haus, dem Sitz der PDS in Berlin, warten, dann kam der stellvertretende PDS-Vorsitzende und Schatzmeister Wolfgang Pohl und ließ die Bombe platzen: Er selbst hat versucht, die 107 Millionen Mark beiseite zu schaffen.
Der Hallenser Genosse Kaufmann, der in Oslo beim Versuch, 70 Millionen von der Bank abzuheben, die Polizei auf den Fall aufmerksam gemacht hatte, war der Mittelsmann des PDS-Schatzmeisters. Die sowjetische Außenhandelsfirma Putnik und die KPdSU brachte der PDS- Schatzmeister im Mißkredit, um seine Finanztransaktion zu vertuschen.
Als am Donnerstag vergangener Woche die Berliner Kripo überstürzt eine Hausdurchsuchung bei der PDS veranstaltete, weil noch Licht brannte und die Staatsanwaltschaft eine Vertuschung („Gefahr im Verzuge“) befürchtete, da empörte sich die PDS, und Gregor Gysi sprach von der „Schmerzgrenze“, die beim Verhalten der Staatsorgane der Bundesrepublik gegenüber der SED- Nachfolgepartei erreicht sei. Gestern war offenkundig für Gysi selbst die Schmerzgrenze erreicht.
Auf die Journalisten-Frage: „Sind Sie fest entschlossen, zurückzutreten?“ hatte der sonst schlagfertige Gysi eine knappe Minute Sendepause und sagte dann: „Lassen Sie mir eine Nacht.“ Vor dem Präsidium der Partei hatte Gysi, wie er selbst berichtet, „die Bereitschaft und den Wunsch nach einem sofortigen Rücktritt“ geäußert. Dem habe das Präsidium „entschieden widersprochen“, berichtet Gysi, bis zur am heutigen Samstag stattfindenden Parteivorstandssitzung wolle er sich den Schritt noch einmal überlegen.
Vorgestern war Gysi nach Moskau geflogen, um Licht in die widersprüchliche Affaire zu bringen. Dort hat er mit ZK-Leuten und anderen gesprochen und offenbar erfahren, daß die KPdSU nicht um die Überweisung auf die Putnik-Konten gebeten hat. Um den Eindruck zu erwecken, er sei selbst an der Aufklärung interessiert, hatte Pohl noch am Donnerstag gegenüber der taz gesagt, er werde aus der Gesellschaft der deutsch-sowjetischen Freundschaft austreten, wenn die Sowjets ihre Verantwortung nicht klarstellen würden. Auf die Frage, welche schriftlichen Dokumente der KPdSU denn vorlägen, hatte Pohl allerdings keine Antwort geben können, und der PDS-Sprecher mußte sich mit der Notlüge herausreden, die Sache sei wohl mündlich abgemacht.
Offenbar hat der PDS-Schatzmeister auch die eigene Partei belogen. Gysi berichtet, er habe nach seiner Rückkehr aus Moskau seinem Schatzmeister „bohrende Fragen“ gestellt und dann in der Nacht das Geständnis erreicht. Gleich am Freitag morgen, noch vor der Präsidiums- Sitzung, sei er zum Staatsanwalt gefahren, um ihm seine Erkenntnisse mitzuteilen. Mit dem Staatsanwalt habe er auch vereinbart, über den Hallenser PDS-Mann keine weiteren Dinge öffentlich mitzuteilen, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Kaufmann befinde sich nach Auskunft der sowjetischen Genossen in der Sowjetunion.
Nach seiner Erklärung und wenigen Nachfragen brach Gysi die Pressekonferenz unter Hinweis auf seinen Gemütszustand ab. Nicht klar wurde deshalb, wieweit die Partei in den Fall verstrickt ist. Immerhin war aber neben dem Hallenser PDS- Mann, der bis August hauptamtlicher Kreisvorstand und Pohl wohlbekannt war, auch der Chefbuchhalter Wolfgang Langnitzschke mit von der Partie. Beide wurden gestern nach ihrem parteiinternen Geständnis beurlaubt. Der Schatzmeister Pohl rechtfertigte seine Handlungsweise damit, er wolle angesichts der Enteignungsdrohungen und auch einer gefürchteten Illegalisierung einen „Grundstock“ für die Partei retten. Diese Formulierung weist darauf hin, daß Pohl sich auf einen innerparteilichen Flügel der PDS beziehen kann. Gysi widersprach der politischen Erklärung Pohls direkt und meinte, er teile nicht die Auffassung von Genossen, die meinten, die Partei müsse sich auf eine Phase der Illegalität vorbereiten. Die PDS, versicherte Gysi, müsse eine demokratische und voll auf dem Boden des Grundgesetzes stehende Partei sein.
Der beurlaubte PDS-Schatzmeister beschuldigte indirekt den Hallenser PDS-Mann des Versuchs, sich an dem PDS-Vermögen zu bereichern. Er, Pohl, habe die 107 Millionen nur für die Partei beiseiteschaffen wollen. Allerdings sei verabredet gewesen, daß das Geld auf dem Konto ruhe. An einen Versuch der Barabhebung über 70 Millionen Mark könne er nicht recht glauben.
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