: P O R T R A I T Hinter den Kulissen der Macht zuhause
■ Der zukünftige japanische Premier Noboru Takeshita gilt als raffinierter Meister des Kompromisses
Von Nina Boschmann
Für westliche Augen und Ohren ist die Kür japanischer Ministerpräsidenten eine bemerkenswert leidenschaftslose Angelegenheit: keine flammenden Reden, keine TV–Shows, keine Versprechen ans Volk. Japanische Premiers werden nicht gewählt, eine öffentliche Diskussion über ihre Meriten findet nicht statt, denn beides könnte die im Privaten wie Politischen geschätzte Harmonie stören. Sollte es je mehrere Interessenten für das hohe Amt geben, so scheint jeder darauf erpicht, den anderen den Vortritt zu lassen. „Meine Kollegen haben große Verdienste und sie sind sicher genauso gut wie ich“, gilt als einzig schickliche Antwort auf die Frage nach den Konkurrenten. Doch hinter den Kulissen wird geschoben und gepokert, getrickst und geschmiert, daß hiesige Parteienfinanzierungsskandale wie ein Streit ums Taschengeld wirken. Ergebnis eines solchen „Wahlkampfes auf japanisch“ ist der zukünftige Ministerpräsident Noboru Takeshita, der am gestrigen Dienstag vom amtierenden Premier Nakasone zum Nachfolger ernannt wurde. Positives oder auch nur Interessantes gibt es über den Werdegang des 63jährigen Generalsekretärs der seit 32 Jahren regierenden Liberal Democratic Party (LDP) und ehemaligen Finanzministers eigentlich nicht zu berichten. Wie seine Mitbewerber Miyazawa und Abe hat er versichert, er werde die Politik Nakasones fortsetzen und sich um eine Verbesserung des Verhältnisses zu den USA bemühen. Er interessiert sich nicht für Verteidigungspolitik. Er ist weder populär noch in der Geschäftswelt angesehen und über seine Zeit als Finanzminister ist bei der Exportwirtschaft vor allem in Erinnerung geblieben, daß er „der Dämlack war, der damals zu diesem Treffen im New York Plaza Hotel ging, wo der desaströse Aufwärtstrend des Yen anfing“. Trotz dieser halbwegs vernichtenden Bilanz und der Pluspunkte seiner Konkurrenten kommt der „Sieg“ Takeshitas keineswegs überraschend. Denn Takeshita ist ein Meister des Kompromisses und des Taktierens hinter den Kulissen und obendrein ein Spendensammler par excellence. Unvergessen ist die Party, die er im Frühsommer dieses Jahres in einem der größten Luxushotels von Tokio für „Freunde und Förderer“ gab. Obschon die Eintrittskarten schlappe 30.000 Yen (375 Mark) kosteten, erschienen 13.000 Leute, 70.000 Tickets sollen verkauft worden sein. Die Einnahmen beliefen sich auf 2 Mrd. Yen, etwa doppelt so viel, wie seine Konkurrenten bei ähnlichen Anlässen zusammenkratzen konnten. Wofür die Knete gebraucht wurde, zeigte sich wenige Tage später, als Takeshita die Existenz einer neuen Parteifraktion unter seiner Führung namens Keiseikai - „das Land regieren und das leidende Volk retten“ - bekanntgab: sie bestand aus 113 abgeworbenen Abgeordneten der Fraktion von Takeshitas politischem Ziehvater Tanaka, dessen Stern nach einer langen skandalreichen Karriere und mehreren Schlaganfällen stark gesunken ist. Zwei Millionen Yen (25.000 Mark) sollen die Parlamentarier für den Liebesdienst erhalten haben. Im Regen standen Miyazawa mit 89 Abgeordneten, Abe mit 86 und Nakasone mit 81 auf ihrer Seite. Als sich dann noch Abe in der Gunst der Stunde auf Takeshitas Seite schlug, da blieb auch Nakasone nichts anderes übrig, als seinen Favoriten Miyazawa fallenzulassen. Doch die Landung für alle Beteiligten wird weich. Abe wird Generalsekretär und Miyazawa stellvertretender Ministerpräsident. Der Kompromiß ist gewahrt.
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