: Ozonloch durch Medikamente
Jährlich dürfen noch rund eine Milliarde Spraydosen mit FCKW produziert werden ■ Von Wolfgang Löhr
Ein Grund zum Feiern: zehn Jahre Montrealer Protokoll. Mitte September wird die internationale Staatengemeinschaft das Abkommen über den Ausstieg aus der Produktion der ozonzerstörenden Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) zelebrieren. Doch etwas wird die Feier des Jahrestags trüben: Obwohl vorgesehen war, die FCKW-Produktion bis Ende 1996 vollständig einzustellen, werden von der Pharmaindustrie weltweit jährlich immer noch rund eine Milliarde Asthmaspraydosen mit dem ozonzerstörenden FCKW als Treibgas vertrieben, insgesamt 13.000 Tonnen FCKW. Sie sind, so sehen es die internationalen Regelungen vor, von dem Verbot ausgenommen, solange der Gesundheitsschutz es erfordert. Obwohl es mittlerweile Alternativen gibt, werden FCKW-haltige Asthmasprays auch hierzulande vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinalprodukte (BfArM) immer noch zugelassen.
Die vier Millionen Patienten, die in Deutschland an Asthma oder chronischer Bronchitis leiden, nehmen ihre Arzneimittel vorwiegend inhalativ ein, das heißt, sie müssen sich die Wirkstoffe über die Atemwege zuführen. In den meisten Fällen wird ein Spray benutzt, das den Wirkstoff fein verteilt in einer FCKW-Aerosolwolke freisetzt. Die Aufgabe des Patienten besteht darin, die Einatmung mit dem Auslösen des Sprühstoßes abzustimmen, so daß der Wirkstoff in die Lunge gelangt und nicht im Rachenraum verbleibt.
Zwar gab es in der Vergangenheit auch schon Inhalatoren, bei denen ein staubförmiges Pulver zusammen mit dem Wirkstoff eingeatmet werden mußte. Doch diese Geräte waren technisch unausgereift und sehr umständlich zu handhaben. Sie waren nur für eine kleine Patientengruppe mit einer Spray-Unverträglichkeit bestimmt und konnten höchstens achtmal benutzt werden. Zudem mußten sie stets nachgeladen werden. Die Spraydosen dagegen geben auf Fingerdruck bis zu 300 Sprühstöße mit konstanter Wirkstoffmenge ab. Der praktische Vorteil für die Patienten und die einfache Handhabung verhalfen den Sprays zu einem weltweiten Siegeszug. Sie wurden zum Standard der Asthmatherapie.
Erst die Diskussion um die ozonzerstörende Wirkung von FCKW und das sich abzeichnende vollständige Produktionsverbot veranlaßten die Pharmaindustrie Ende der 80er Jahre, nach einem neuen Treibgas zu suchen. „Man konnte ja nicht einfach nur das Treibgas austauschen“, erklärt der Mediziner Stefan Hunold, der bei dem Pharmaunternehmen 3M für die Arzneimittelsicherheit zuständig ist. Für die Suche nach einer Alternative zu FCKW hatte sich 3M mit mehreren Konkurrenzfirmen zusammengetan. Acht Jahre habe das „Firmenkonsortium“ benötigt, um alle notwendigen Tests durchzuführen, berichtet Hunold, „und ein komplett neues Gerät zu konstruieren“. Vor zwei Jahren kamen dann die ersten Sprays mit dem chlorfreien Fluorkohlenwasserstoff (FKW) 134a auf den internationalen Markt. „Seit April 1996 ist auch auf dem deutschen Markt ein erstes FKW-getriebenes Dosieraerosol vertreten“, berichten Winfried Schwarz und André Leisewitz vom Büro für Umweltforschung „Öko-Recherche“ in Frankfurt in einer Studie für das Umweltbundesamtes. Die Studie geht davon aus, daß es noch bis zum Jahre 2005 dauern kann, bis die FCKW-Sprays vollständig verschwunden sind.
Nicht nur für die Umwelt, auch für die Patienten haben sich die Investitionen der Pharmaindustrie gelohnt. „Manche Produkte mit dem 134a sind sogar besser als die alten Sprays“, meint der 3M-Mitarbeiter, „sie haben einen sanfteren Sprühstoß, und die Partikel sind kleiner, so daß der Wirkstoff besser in der Lunge verteilt wird.“
Nur ein Manko hat auch das neue Treibgas, auf das die Mehrzahl der Asthmaspray-Produzenten neuerdings setzt. Die FKWs haben zwar keine zersetzende Wirkung auf die Ozonschicht, sind aber wegen ihres nicht unerheblichen Beitrags zum Treibhauseffekt umstritten. Prominentester Aussteiger aus der FKW- Technik ist bisher die Kühlschrankindustrie, die inzwischen mit dem Slogan „FCKW- und FKW-frei“ für ihre Produkte wirbt.
„Man muß natürlich abwägen, was jetzt wichtiger ist: die Vermeidung des relativ geringen Treibhauspotentials oder die menschliche Gesundheit“, erklärt Heinrich Wilhelm Kraus, der als Referatsleiter beim Umweltministerium für den Schutz der Ozonschicht zuständig ist. „Wir meinen, daß die menschliche Gesundheit hier Vorrang hat“, stellt Kraus den Standpunkt der Bundesregierung klar.
Dabei gibt es längst auch eine Alternative zum Treibhausgas FKW. Das Pharmaunternehmen Orion hat es vorgemacht. Es verzichtet bei seinen Asthmamitteln ganz auf Treibgas. Statt dessen ist Orion auf Inhalatoren umgestiegen, die mit verbesserter Gerätetechnik auf Pulverbasis arbeiten. Nach Firmenangaben sind die neuen Pulverinhalatoren nicht nur „unproblematischer“ zu bedienen, sie verteilen auch die Wirkstoffe besser in der Lunge.
Der Diepholzer Facharzt für Innere Medizin, Michael Priesnitz, bestätigt die Vorteile der Pulvergeräte. „Sämtliche von mir behandelten Asthmapatienten erhalten jetzt grundsätzlich ein inhalatives Steroid in Pulverform“, berichtet der Facharzt, „meine Patienten haben keine Probleme damit.“ Die Einwände von Kollegen und der Asthmaliga, daß „für bestimmte Patientengruppen, Kinder und ältere Personen, Pulvergeräte zu schwierig in der Handhabung und insbesondere in Notfallsituationen die Sprays notwendig seien, weist Priesnitz zurück: „Wenn die Patienten gut eingewiesen werden, regelmäßig inhalieren und vom Arzt kontinuierlich betreut werden, können die Notfallsituationen vermieden werden.“
Daß die Pulvergeräte eine Alternative sind, zeigt auch die Situation in Schweden und den Niederlanden. Dort haben die Pulverinhalatoren einen Marktanteil von über 80 Prozent. In Deutschland sind es lediglich 15 Prozent.
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