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O'zapft ist das Telefon

■ Neuer Rekord beim Telefonabhören: In mehr als 6.400 Fällen wurde eine Überwachung angeordnet

Berlin (taz) — Noch nie wurden in der Bundesrepublik so viele Telefone angezapft wie im vergangenen Jahr. 6.428mal ordneten 1996 Richter und Staatsanwälte eine Telefonüberwachung an. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des bündnisgrünen Bundestagsabgeordneten Manfred Such hervor. Bundesjustizminister Schmidt- Jortzig teilte dem Parlamentarier darin mit, daß nach den Angaben der Telekom allein im Bereich der ortsfesten Fernmeldeanschlüsse in 4.674 Fällen die Ermächtigung zur Überwachung von Telefonanschlüssen erteilt wurde. Das sind 27,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Erstmals wurden in der Antwort der Regierung auch die Zahlen für den Mobilfunkbereich veröffentlicht. Danach wurden im letzten Jahr bei den Funktelefonbetreibern Mannesmann Mobilfunk 736mal, bei DeTe Mobil 980mal und bei E-Plus 38mal eine Anordnung für die Überwachung des Fernmeldeverkehrs umgesetzt. Die Angaben der Bundesregierung geben allerdings nur die Anzahl der Anordnungen und nicht die wesentlich höhere Zahl der tatsächlich überwachten Telefonate wieder. In den Angaben sind auch observierte Telefax- und Funkrufanschlüsse enthalten.

Der Trend zum Lauschen hat sich damit ungebrochen fortgesetzt. Vor zwanzig Jahren, 1977, gab es in der alten Bundesrepublik noch eine Gesamtzahl von „nur“ 511 Telefonüberwachungen. Im Wendejahr 1989 wurden für die alten Bundesländer 2.247 Fälle registriert. Mit 2.494 Fällen war der Anstieg 1990 nicht so hoch wie der von 1995 auf 1996.

Anlaß für die genehmigten Lauschaktionen waren unter anderem der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung, die Verbreitung von Propagandamaterial verbotener Organisationen, gewerbsmäßige Hehlerei und Verstöße gegen das Ausländergesetz.

Wie dürftig mitunter die Grundlagen für die Genehmigung einer Telefonüberwachung sind, zeigt ein Fall in Potsdam. Nach Hinweisen aus dem Zuhältermilieu wurde bei einem Verdächtigen das Telefon abgehört, er sollte in Rauschgift- und Waffengeschäfte verwickelt sein. Vier Monate lang wurde der Anschluß überwacht, dann das Verfahren eingestellt. Soweit in den Telefongesprächen von „Pistolen“ die Rede war, stellte sich heraus, daß damit Spritzpistolen zum Lackieren von Pkw gemeint waren. Der „Stoff“, der am Telefon bestellt wurde und der den Argwohn der Strafverfolger erregt hatte, entpuppte sich anschließend als echte Textilienlieferung. Wolfgang Gast

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