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“Oy, Oy, Oy!“

■ Die Klezmatics füllten den Schlachthof mit fröhlichen Klängen

“Yiddish Soulmusic“ nennen die sechs MusikerInnen der New Yorker Klezmatics (Alicia Svigals-v, voc; Frank London-co, tp, keyb, voc; David Krakauer-cl, b-cl; Lorin Sklamberg-acc, lead-voc; Paul Morrissett-b; David Licht-dr) ihre Adaption jüdischer Klesmermusik. Am Montagabend spielten sie sich damit fast umgehend in die Herzen der ZuhörerInnen in der gut besuchten Kesselhalle des Schlachthofs.

Klesmer wurden die Musikkapellen genannt, die bei religiösen Feiern, Familienfesten oder Jahrmärkten der jüdischen Bevölkerung Osteuropas zum Tanz aufspielten. Ursprünglich bestand eine Klesmer-Kapelle mindestens aus Fiedel, Flöte, Baß und „Tsimbl“, einem holzkastenartigen Saiteninstrument, das mit Klöppeln geschlagen wurde. Später trat die Klarinette an Stelle der Flöte, Trompete und /oder Tuba verdrängten die Tsimbl. Die Klesmer-Kapellen bestanden meist aus fahrenden Musikanten (Klesmorim), die keineswegs ausschließlich auf jüdischen Festen musizierten.

Von Beginn an verarbeiteten die Klesmorim die musikalischen Einflüsse der sie umgebenden Kulturen. So finden sich im Klesmer-Repertoire ungarische und bulgarische Tänze, russische und polnische Lieder, böhmische Polkas, rumänische Melodien, Mazurkas, Walzer, Märsche oder die Musik der Roma und Sinti. Mit der durch Verfolgung und Vertreibung erzwungenen Auswanderung der osteuropäischen jüdischen Bevölkerung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, kam die Klesmermusik in die USA, wo große jüdische Gemeinschaften entstanden. Seit der Jahrhundertwende fanden dort die jungen Jazz-Stile Einlaß in die Klesmermusik.

Die Klezmatics reichern in ihrer modernen Klesmerversion die traditonellen osteuropäischen Melodien mit rockigen Rhythmen und jazzentlehnten Bläsersätzen an. Ergebnis ist eine fetzig-mitreißende, ausgelassene Volxmusik, die gute Laune verbreitet, ohne bierzeltmäßige Schunkelatmosphäre aufkommen zu lassen, quicklebendig, augenzwinkernd und leicht schräg. Die Spielfreude der sechs ausgesprochen sympathisch auftretenden und den Kontakt zum Publikum suchenden MusikerInnen übertrug sich schnell auf die mitgehenden BesucherInnen, deren hartnäckiger Beifall die Gruppe zu drei Zugaben bewegte. Darunter ihre Version des jiddischen Arbeiterliedes „Ale Brider“, bei der die gut 250 Anwesenden begeistert in den „Oy, oy, oy“-Refrain einfielen. Ein geiles Konzert!

Montezuma Schmidt

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