DAS ZWEITE „SICHERHEITSPAKET“ IST SYMBOLISCHER AKTIONISMUS: Otto der Mannhafte
Drei lange Tage wurde verhandelt; nun haben sich Innenminister Otto Schily und die Bündnisgrünen auf einen Kompromiss geeinigt, wie das „zweite Sicherheitspaket“ gestaltet werden soll. Das Schlimmste verhindert, den Sachverstand durchgesetzt? Schön wär’s, nur leider ist dem nicht so. Seit den Terroranschlägen in Washington und New York ist in Deutschland der Geist des wilhelminischen Obrigkeitsstaats neu erwacht – so wie schon im Herbst 1977, als der RAF-Terrorismus seinen Höhepunkt erreichte. Damals wie heute ertönt der Ruf nach dem starken Staat. Und wie vor 24 Jahren ziehen die Sicherheitspolitiker ihre alten Wunschzettel aus der Schublade. Was der RAF-Fahndung die Einführung des maschinenlesbaren Personalausweises war, das ist heute die Absicht, die Personaldokumente mit einem weiteren Identifizierungsmerkmal wie etwa dem Fingerabdruck oder der Handgeometrie zu versehen.
Was jedoch wie entschlossenes Handeln aussieht, ist meist nur symbolischer Aktionismus. Ein Beispiel: Die Kompetenzen des Verfassungsschutzes sollen so erweitert werden, dass auch Bestrebungen beobachtet werden dürfen, die „gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind“. Gemeint sind vor allem islamistische Gruppierungen. Nur: Schon heute ist deren Überwachung möglich, und schon heute scheitert sie – Islamwissenschaftler oder arabisch sprechende Dolmetscher sind in den Sicherheitsbehörden eben extrem selten.
Der Aktionismus dient vor allem der Selbstdarstellung: Otto der Eiserne stellt sich mannhaft den neuen Bedrohungen. In seiner Person verdichtet sich das Bild der wehrhaften Gesellschaft, die jede Herausforderung anzunehmen weiß. Ein trügerisches Bild, eine Einbildung nur. Denn ernsthaft weiß niemand, auch Schily nicht, wie mit religiös verblendeten Mördern umzugehen ist. Mit Terroristen, die keine Forderungen erheben, die sich nicht einmal zu ihren Anschlägen bekennen, die den eigenen Tod zur Waffe machen und so inszenieren, dass möglichst viele Menschen mitgerissen werden.
Die Aufgabe der Grünen als Bürgerrechtspartei hätte es sein können, den rationalen Diskurs über diese neue diffuse Bedrohung zu organisieren und zu verhindern, dass die Terrorismusbekämpfung – wie jetzt geschehen – mit der Frage der Zuwanderung verknüpft wird. Stattdessen haben sie die durchgepeitschten Gesetze mit einem vagen Verfallsdatum versehen. Aber der Schaden ist schon entstanden. WOLFGANG GAST
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