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Osterrammler

■ Leder-Schwule treffen sich in Berlin

Oster-Vergnügen für Schwule: Die einen gegen zum Ledertreffen, die anderen zu Mutter Lehmann.

Osterrammler Leder-Schwule treffen sich in Berlin

Familie Lehmann hat wie die Lederschwulen zu Ostern alljährlich das gleiche Programm: Lehmanns werfen sich in Schale und fahren zu Muttern, um dort gefärbte Eier zu pellen. Der Nachwuchs sucht derweil die versteckte Kinderschokolade und Oma freut sich über zwei Plüschküken auf ihrem Teller. Die schwulen Ledermänner wiederum zwängen sich in ihre schwarzen Uniformen, reisen aus ganz Europa nach Berlin, suchen hier mit gefärbten Tüchern ihresgleichen und freuen sich über jedes Abenteuer im Keller einer Bar.

Was ein Lederschwuler ist? Am besten stellt man ihn sich so vor, wie ihn das Ostertreffen-Plakat des Clubs »Motor Sport Contacte e.V.« präsentiert: Ein Schnauzbart in einem kantigen Gesicht, darüber ein Lederkäppi, darunter ein Oberkörper als eine Mischung aus Muskeln und Haar. Die enge Lederhose ist halb geöffnet, der Gürtel schlenkert vor dem Schwanz: Geil soll er sein, der Lederkerl, steif ist jedoch einzig und allein seine gesamte Haltung. Hinter ihm gehen die Umrisse Gesamtberlins als Sonne auf, ringsherum geschmückt mit Bauwerken, die das Lederherz offensichtlich begehrt: Brandenburger Tor, Olympiastadion und ICC.

Daß auf dem Plakat ausgerechnet der ebenso monumentale Cruisingtreffpunkt Siegessäule fehlt, ist eigenartig, liegt doch der eigentliche Sinn des Ledertreffens gerade im ausgiebigen Ficken: So bunt wie die hartgekochten Eier bei Familie Lehmann, so bunt sind nämlich auch die Tücher der Lederschwulen, die sie sich um den Hals knoten oder keck in der Hosentasche arrangieren. Jede Farbe kennzeichnet eine sexuelle Vorliebe vom Auspeitschen übers Anpissen bis zum Sex in Uniform. Selbst jedes anspruchsvolle Homo-Magazin kommt nicht umhin, den Code alljährlich genauestens zu publizieren.

Sex gibt's beim Ledertreffen jedoch selten im Freien, sondern wie bei Lehmanns bei ausgeschaltetem Licht. Die Darkrooms aller namhaften Lederkneipen vom Knast bis zum Connection haben deshalb rund um die Uhr geöffnet. Natürlich muß bis zur Wahl des schönsten Lederkerls zum »Mr. Drummer 91« am Sonntag auch etwas gegessen werden, das Programmheft liest sich deshalb halb als Speisekarte: Gulaschsuppe, Erbsensuppe, Kartoffelsuppe sowie Kaffee und Kuchen wird in allen namhaften Bars serviert. Höhepunkt des Lederfests ist zweifelsohne der Samstagabend: Während sich Familie Lehmann auf die Glotze und damit auf Gunther Emmerlichs Unterhaltungsshow für die Glücksspirale verläßt, vergnügen sich die Lederkerle im Prater etwa auf gleichem Niveau. »Berlin, Berlin« heißt die angekündigte seichte Travestie-Darbietung mit anschließender »Crazy Disco Night«. Damit das überwiegend westliche Publikum den alten Prenzelberger Arbeiterkulturpalast auch findet, wird stündlich ein Shuttlebus vom Knast aus verkehren. Wie in der CDU mischt sich auch bei den Lederkerlen das Stockkonservative gerne mit Elementen modernster Technologie.

Allein in einem Punkt scheinen die Lederschwulen noch fortschrittlicher zu sein als die Lehmann'schen Diepgen-Fans. Bis die Familie nämlich das nächste Mal freudig ihre Eier färbt, wird dummerweise noch ein ganzes Jahr vergehen. Die zügelloseren Lederkerle kommen dagegen schon früher wieder auf ihre Kosten: Das nächste europäische Ledertreffen findet in Stuttgart statt, und zwar bereits am 9. Mai. Micha Schulze

Das ausführliche Programm des Berliner Ostertreffens liegt in den schwulen Lederbars kostenlos aus, Hauptabend am Samstag um 20 Uhr im Prater, Kastanienallee 7-9, 1058

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