: Ost-Eigentum: Rückgabe ja, aber...
■ Bundesregierung sieht weitgehende Ausnahmen vom Rückgabeprinzip für enteignetes Vermögen vor/ Möllemann und SPD fordern stattdessen Entschädigung für Ex-Eigentümer
Bonn (ap) —Trotz lautstarker Gegenstimmen will die Bonner Regierungskoalition enteigneten Besitz in der früheren DDR weiterhin grundsätzlich zurückgeben. Sowohl Justizminister Kinkel als auch führende Unionspolitiker wandten sich am Mittwoch in Bonn dagegen, das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ aufzugeben, stellten aber weitreichende Ausnahmeregelungen in Aussicht. Demgegenüber gibt Wirtschaftsminister Möllemann ebenso wie die SPD der Entschädigung enteigneten Besitzes den Vorzug.
Bei einer Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses am Vortag hatten Experten darauf gedrungen, vom Grundsatz der Rückgabe abzugehen, da damit Investitionen in den neuen Bundesländern behindert würden. Die Sachverständigen warnten zudem, die von Kinkel vorgelegten Gesetze zur Beschleunigung der Investitionen im Osten seien zu kompliziert, um angesichts des Verwaltungsnotstands in der Ex-DDR umgesetzt werden zu können.
Aus verfassungsrechtlichen wie finanziellen Gründen, so Kinkels Gegenargumentation, sei eine Umkehr des bisherigen Grundsatzes nicht möglich. Sollte das Prinzip der Rückgabe enteigneten Besitzes umgestoßen werden, könne es zu Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht kommen, die eine Regelung weiter verzögerten und damit Investitionen noch mehr behinderten, warnte der Minister. Außerdem werde der Gesetzgeber ein solches Verfahren „bei dieser Rechtslage nicht gewinnen können“. Auch sei, so Kinkel, der „volle Wertausgleich“ für das entschädigte Eigentum nicht zu finanzieren. Überdies werde bereits jetzt der Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ zu mehr als 50 Prozent durchbrochen, rechnete Kinkel vor. Grundsätzlich entschädigt und nicht zurückgegeben würden beispielsweise der während der sowjetischen Besatzungszeit 1945 bis 1949 enteignete Besitz, in Gemeingebrauch übergegangenes Eigentum und Fälle von „redlichem Erwerb“. Hinzu kämen die bereits bestehenden oder geplanten „Vorfahrtsregelungen“ für Investoren.
Für eine Regelung, die Investitionen erleichtere und mit der Verfassung vereinbar sei, sprach sich auch der stellvertretende CDU/CSU- Fraktionsvorsitzende Heiner Geißler aus. Dafür müsse der im Einigungsvertrag verankerte Grundsatz aber nicht aufgegeben werden.
Wirtschaftsminister Möllemann erklärte dagegen, mit einer Priorität für die Entschädigung werde dem Aufschwung in der Ex-DDR Vorrang gegeben. Das Eigentum habe im Grundgesetz einen außerordentlich hohen Stellenwert. Doch könne er sich vorstellen, daß man wie in anderen Bereichen, in denen staatliche Eingriffe in das Eigentum zugunsten des Gemeinwohls erlaubt seien, den entsprechenden Grundgesetzartikel ergänzt.
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