: Ost-Berlin entdeckt das Arbeitslosenproblem
■ Bereits jetzt knapp 2 Prozent Arbeitslose in Ost-Berlin / Das Arbeitsamt mag noch keine Prognosen über die künftige Entwicklung der Arbeitslosenquote abgeben
Ost-Berlin. Von 845.614 Berufstätigen in Ost-Berlin sind derzeit knapp 12.000 arbeitslos gemeldet: Das entspricht einer Arbeitslosenquote von knapp zwei Prozent. Doch die Zahlen steigen stetig an: im Durchschnitt 400 bis 500 Arbeitslose, so informierte gestern der Pressesprecher des Ostberliner Arbeitsamtes, Ralf Zilliges, kommen wöchentlich hinzu.
Knapp die Hälfte der Arbeitslosen sind Facharbeiter, allein 2.000 Arbeitslose sind Jugendliche unter 25 Jahren. Konkrete Ursachen für diese hohe Jugendarbeitslosigkeit kann Zilliges nicht benennen: „Sie schätzen einfach ihre Chancen unrealistisch ein“ und gehören deshalb größtenteils zu der erstaunlich hohen Anzahl der knapp 4.000 Ostberliner Arbeitslosen, die aus eigenem Antrieb kündigten. Ein knappes Drittel aller Arbeitslosen fiel den Rationalisierungsmaßnahmen zum Opfer, knapp 1.000 wurden fristlos entlassen.
Von den über 40.000 ehemaligen Stasi-MitarbeiterInnen haben laut Zilliges fast alle bereits einen neuen Arbeitsplatz gefunden - meist in der Produktion oder in der Verwaltung.
Der Zahl von über 11.000 Arbeitslosen stehen lediglich knapp 3.900 freie Arbeitsplätze gegenüber: Stellenangebote gibt es vor allem für Facharbeiter sowie für un- bzw. angelernte Kräfte. Allerdings, so fürchtet Zilliges, kämen nicht alle Betriebe ihrer Meldepflicht nach. Ob diese Betriebe statt dessen Schwarzarbeiter beschäftigen, „können wir nicht nachweisen“.
Die laut Magistratsbeschluß vom 19.März nach Westberliner Vorbild eingerichteten vier Ostberliner Arbeitsämter (siehe Kasten) mit insgesamt 400 Angestellten haben sich neben der Arbeitsvermittlung vor allem Umschulungsmaßnahmen vorwiegend Taxikurse, Computerlehrgänge, Ausbildungen in Bauberufen und in der Krankenpflege - zur Aufgabe gemacht. Tatkräftig unterstützt werden sie dabei von der Bundesanstalt für Arbeit (BfA).
Arbeitslosengeld in Höhe von 500 Mark bekommt jeder, der mindestens 12 Monate versicherungspflichtig gearbeitet hat. Etwa ein Drittel der Arbeitslosen erhält außerdem eine betriebliche Ausgleichszahlung bis zu 70 Prozent des ehemaligen Bruttoverdienstes. Arbeitslosenhilfe wird in der DDR bislang noch nicht gezahlt, hier macht sich das noch fehlende Arbeitsförderungsgesetz bemerkbar.
Wer kein Anrecht auf Arbeitslosengeld hat, erhält als Alleinstehender nur 300 Mark Sozialunterstützung. Die Entlassungsfrist liegt in der DDR laut Arbeitsgesetzbuch bei mindestens 14 Tagen. Ein Prognose in bezug auf eine zu erwartende Entlassungswelle und die künftige Arbeitslosenquote mochte Zilleges gestern nicht abgeben. Betroffen sein werden seiner Einschätzung nach vor allem Außenhandelsbetriebe, Unterhaltungselektronik und Elekrotechnik. Informationen, wonach 600.000 Kündigungen in Ost-Berlin und Umgebung per 30. Juni bereits ausgesprochen worden sein sollen, sind Zilleges jedoch nicht bekannt.
maz
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