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Osman Engin Die CoronachronikenDie Coronalehren

Foto: privat

ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter https://wortart.lnk.to/Osman_Coro-na. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Es gibt nur das eine Coronavirus, aber unzählige verschiedene Lehren daraus. Meine feministische Tochter Nermin sagt: „Die Menschen müssen endlich aufhören, tote Tiere zu essen!“ Mein linksradikaler Sohn, der ewige Student Mehmet, ist der Meinung: „Die Kneipen müssen Tag und Nacht offen sein. Alkohol desinfiziert!“ Meine Frau Eminanim, die zweitgrößte Nervensäge der Mittleren Orients, stöhnt: „Mein Gott, jetzt habe ich zu Hause alle den ganzen Tag am Hals!“ Unsere Kanzlerin, die coole Frau Merkel, predigt: „Wenn ihr zu Hause bleibt, schaffen wir das auch.“

Und meine Lehre aus diesen Coronatagen ist, dass ich niemals ein Mörder werden darf! Und wenn doch, dann darf ich mich auf keinen Fall erwischen lassen! Nur eine Woche Quarantäneknast mit der eigenen Familie zu Hause nach dem Urlaub in der Türkei ist schon derart unerträglich, dass ich mir nicht mal vorstellen will, wie ich es 15 Jahre lang mit lauter Schwerverbrechern in einem engen Betonbunker aushalten soll!

Ich kann hier nicht mal den Fernseher verstehen, weil ich mir von morgens bis abends deren Telefongespräche anhören muss.

Mein Sohn Mehmet brüllt alle seine Kumpels am Handy an, während seine Musik auf Discolautstärke läuft: „Also, die Quarantäne ist gar nicht mal so schlecht, würde ich sagen. Ich hatte während der letzten Tage ein paar Mal die Gelegenheit, mit meiner Mutter und meinem Vater zu reden. Die sind entgegen meiner bisherigen Meinung gar nicht mal so schlechte Menschen, denke ich. Ich soll sogar eine kleine, ungefähr acht Jahre alte Schwester namens „Hatice“ haben. Ohne Coronaquarantäne hätte ich das alles über meine Familie niemals erfahren.“

Meine Frau erzählt allen ihren Freundinnen, ob sie es hören wollen oder nicht: „Also, ich lese die ganze Zeit hier zu Hause! Ich höre schöne, ruhige Musik und ich erhole mich herrlich in der Quarantäne, würde ich gerne sagen, aber das wäre total gelogen! Wie soll ich das denn schaffen? Ich muss weiterhin kochen, waschen, putzen!“

Ich glaube, nach dem Coronavirus wird die Welt von einer viel schlimmeren Krankheit erschüttert: von der „Durchgedrehte-Mütter-Pandemie“!

Und ich frage mich sehr gespannt, wie die Menschheit solche Pandemien eigentlich in der Vergangenheit bewältigt hat? Die Erde wurde doch regelmäßig von tödlichen Seuchen heimgesucht – aber wie hat sie es damals überlebt? Ich meine damit nicht die medizinische oder die Lebensmittelversorgung, sondern: Wie haben sie all diese Katastrophen damals ohne einen Fernseher überlebt?!

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