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Osman Engin Alles getürktDie gute alte DDR-Zeit

Gestern war mal wieder Tag der Deutschen Einheit. Deshalb redet zurzeit die ganze Welt über die alte DDR. Und ich habe mich dadurch wieder an meine Alptraum-Reise von Bremen nach West-Berlin durch die DDR erinnert. Mein Freund Zafer hatte meine Frau und mich damals nach Berlin-Kreuzberg eingeladen:

An der westdeutschen Grenze winken uns die Zollbeamten einfach durch, halten uns nicht mal eines Blickes für würdig. Hundert Meter weiter auf der DDR-Seite nimmt man uns dagegen ernster. Hier gilt der einzelne Mensch noch was. Plötzlich schreit der DDR-Beamte meine Frau an, dass sie ihn gefälligst angucken soll. Er beäugt das Foto im Pass und dann meine Frau. Meine Frau und das Foto. Bei Allah, wie lange dauert das denn noch? Er hat verdammt Glück, dass er jetzt in der besseren Position ist. Normalerweise hätte ich ihn meine Frau so lange nicht ungestraft anstarren lassen. Bei uns zu Hause wurden Leute schon für weniger erstochen.

Nach 20 Minuten bekommt meine Gattin schließlich Halsschmerzen und setzt sich wieder richtig hin. Da brüllt der DDR-Beamte aufs Neue los: „Schauen Sie mich gefälligst an! Sonst lasse ich euch gleich an die Seite rausfahren, und dann könnt ihr noch fünf Stunden warten.“

Auf Türkisch flehe ich meine Frau an: „Eminanim, reiß dich zusammen! Provoziere diese Idioten nicht noch mehr“, und rede dann auf Deutsch weiter: „Frau, bitte, schau den Herrn Zollbeamten an. In der knappen Stunde hat er bestimmt nicht genug von dir gesehen. Zollbeamter zu sein, ist eine große Verantwortung und ehrenvolle Aufgabe …“

„Halt’s Maul! Dich habe ich nicht nach meinen Aufgaben gefragt“, bellt der zurück.

Wir folgen der Autoschlange durch die Grenzanlage und kommen zu einer winzigen Holzbaracke, aus der schon wieder ein DDR-Beamter mich anbrüllt:

„Was denken Sie sich eigentlich?“

„Ich denke, ich muss Ihnen die Pässe geben.“

Foto: privat

Osman Engin

ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter https://wortart.lnk.to/Osman_Coro-na. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

„Ich will wissen, was Sie sich dabei denken, ein Verkehrsschild zu missachten?“

„Entschuldigung, ich habe nirgendwo ein Verkehrsschild gesehen.“

„Auf dem Verkehrsschild hinter Ihnen steht, dass Sie nur ranfahren dürfen, wenn ich Sie herwinke. Was machen wir nun mit Ihnen?“

„15 Jahre Zwangsarbeit in Sibirien und das in Unterhosen“, lästert meine Frau auf Türkisch.

„Ich weiß es nicht. Möchten Sie vielleicht ein paar Pistazien?“, frage ich völlig verwirrt.

„Wie bitte? Ein Gastarbeiter aus dem Westen versucht einen DDR-Zollbeamten zu bestechen!“, schreit er mich an.

Normalerweise hätte ich ihn meine Frau so lange nicht ungestraft anstarren lassen. Bei uns zu Hause wurden Leute schon für weniger erstochen

„Ist Sibirien kälter als Deutschland?“, frage ich leise.

„Sie müssen für die Ordnungswidrigkeit 100 DM bezahlen. Und das mit der Bestechung wollen wir mal vergessen, wenn Sie die Pistazien rübergeben“, befiehlt er.

Einen Tag nach dem ich diese Geschichte damals veröffentlicht hatte, trat Erich Honecker zurück, und die DDR öffnete alle Grenzen.

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