Oppositionelle in Damaskus: Zentrum unter Kontrolle
Vor fünf Monaten begannen die Proteste in Syrien. In Damaskus blieb es weitgehend ruhig, doch diskutiert wird überall. Eine Begegnung mit Oppositionellen.
DAMASKUS taz | Am späten Donnerstagabend sind die Cafés in der Hauptstraße des Dummar-Projekts gut besucht. Jugendliche rauchen Wasserpfeifen, einige Ältere spielen Karten oder Backgammon. Doch die Stimmung ist nur auf den ersten Blick ruhig und gelassen. Fast alle sprechen über die auch in Damaskus nicht abebbende Protestbewegung und diskutieren darüber, wie lange Präsident Baschar al-Assad wohl noch vom Regime getragen wird. Noch vor einem halben Jahr wären solche Erörterungen in aller Öffentlichkeit undenkbar gewesen.
Die syrische Hauptstadt Damaskus ist nach Kairo und Bagdad die drittgrößte arabische Stadt. Um der Hektik dieses Molochs und den sozialen Brennpunkten des Zentrums zu entfliehen, gründeten in den 1970er Jahren die damals noch unabhängigen Gewerkschaften der Ärzte und der Ingenieure das Dummar-Projekt.
Das Viertel liegt viel höher als das Stadtzentrum, deshalb ist auch die Luft viel besser. Hier wohnen Lehrer, Ärzte, Ingenieure und Rechtsanwälte. „Den Menschen in diesem Viertel geht es insgesamt noch relativ gut, sodass sie nicht auf die Straße gehen“, erklärt Dr. Ahmad Fayes Fawaz, ein Internist, der als Mitglied der Ärztegewerkschaft seit den 1980er Jahren in dem Viertel lebt.
Fawaz war von 1973 bis 1980 als Funktionär der KP Syriens verantwortlich für die geheime Parteizeitung und wirkt seit seinem Parteiaustritt im Jahre 2002 als unabhängiger Oppositioneller. Von 1980 bis 1995 saß er im Gefängnis. In Damaskus und Aleppo, der zweitgrößten syrischen Stadt, haben die Proteste bislang nur eine schmale Basis. Ein Grund dafür sei, so Fawaz, dass in Damaskus, Hauptstadt und größter Handelsplatz des Landes, sehr viele Bürokraten und Händler leben, und die seien gegen den Protest.
Ehemaliger freier Mitarbeiter, die taz hat 2014 die Zusammenarbeit beendet.
Schlägertrupps in Zivil
Dass beispielsweise in Hama die Bewegung einen Massencharakter annehmen konnte, erklärt Fawaz damit, dass es den Aufständischen gelang, den größten Platz der Stadt zu besetzen. „Dort versammelte sich die Bevölkerung einen Monat lang. Die Sicherheitsleute waren abwesend, und die Menschen waren hoch diszipliniert. Das gab der Bewegung in Hama und ganz Syrien einen starken Auftrieb. In Damaskus hat der repressive Staat bis heute verhindert, dass sich die Bewegung entwickelt.“
Zwar ist die Polizei- und Militärpräsenz nicht größer als in der Zeit vor dem Ausbruch der Proteste vor fünf Monaten, doch hunderttausende bewaffnete, in Zivil gekleidete Geheimpolizisten kontrollieren das Zentrum der Hauptstadt. Außerhalb des Zentrums kommt es trotzdem täglich zu Protesten.
Im Viertel von al-Midan, südlich des Stadtzentrums, wurden am Freitag „einige Dutzend Demonstranten übel zugerichtet von der Schabiha“, berichtet ein Damaszener. Die Schabiha-Milizen sind zivil gekleidete Schläger, die auf Protestler einprügeln. Dabei werden sie durch diverse Sicherheitskräfte, von denen es in Syrien 17 verschiedene gibt, geschützt. Die Schabiha geht genauso vor wie die Baltajia im Ägypten unter Mubarak. „Die Schabiha hat einige Demonstranten auch in den Kofferraum von Zivilwagen gezerrt und sie weggekarrt“, berichtet der Augenzeuge, der bis heute keine Nachricht über den Verbleib seiner Gefährten bekommen hat.
Etwas weniger brutal als in al-Midan, aber keinesfalls entspannt geht es an diesem Wochenende im Stadtteil Mosbaq as-Sunu zu. Dort leben vor allem Akademiker, Journalisten und Lehrer, die nicht zur Avantgarde der Protestbewegung auf der Straße gehören, aber politisch frustriert sind. Am Freitag, als laut al-Dschasira in Syrien 20 Menschen getötet wurden, hatte jemand das Graffito „Du musst dir immer deinen Sinn für Humor bewahren“ an eine Hauswand gesprüht. Es gibt nicht viele solcher sichtbaren Botschaften in der Stadt. Plakate oder Flugblätter sucht man vergebens. Die Wand, auf der das Graffito zu lesen ist, führt zum Eingang des Hauses von Salamah Kaileh, einem marxistischen Oppositionellen, der acht Jahre in syrischen Gefängnissen verbrachte.
Hohe Opferbereitschaft
Das Graffito ist so frisch, das Kaileh es selbst noch nicht gesehen hat. Er bleibt lieber in der Wohnung und verfolgt die Ereignisse auf al-Dschasira. Durch die Berichte von Genossen weiß er, dass es in zahlreichen Damaszener Vierteln täglich zu kleineren Demonstrationen kommt.
„Doch es ist gefährlich, dorthin zu gehen. Man wird geschlagen und verhaftet“, erzählt Kaileh bei einem Café in seiner Bibliothek.
„Ich bewundere den Mut und die Opferbereitschaft derjenigen, die auf dem schwierigen Terrain Damaskus der Schabiha die Stirn bieten. Wenn sich diese Jugendlichen auch weiterhin nicht einschüchtern lassen, gebe ich dem Regime noch wenige Wochen, dann wird es vom Militär gestürzt“, prognostiziert Kaileh.
Für die Zeit danach baut er mit einigen Genossen gerade eine neue kommunistische Partei auf, die die Führung im neuen Syrien übernehmen soll. „Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme Syriens lassen sich im Kapitalismus nicht lösen“, sagt er.
Samstagabend im Café Domino am Bab at-Tuma im Zentrum der Stadt. Der Regimekritiker Michel Kilo aus Latakia fährt nervös mit seinem Wasserglas über den Tisch: „Sie müssen ein gutes Gedächtnis haben, denn an diesem Ort dürfen Sie weder aufnehmen noch mitschreiben.“ Kilo, der zuletzt von 2006 bis 2009 im Gefängnis war, ist überrascht von dem anhaltenden Aufstand, der zunehmend brutaler niedergeschlagen wird: „Niemand hätte das, was jetzt passiert, für möglich gehalten. Wir dachten, das Volk hat sich mit der Unterdrückung abgefunden. Doch jetzt wollen die Leute ihre Freiheit zurück, die ihnen vor 50 Jahren genommen wurde.“
Auch den Kritiker Kilo ist beeindruckt vor allem die Moral der Aufständischen: „Jemand aus Dara sagte, selbst wenn in der Stadt nur ein einziges Kind den Aufstand überleben würde, hätte es sich gelohnt. Hätte es in Ägypten nur 10 Prozent der Gewalt gegen die Aufständischen gegeben, die derzeit in Syrien ausgeübt wird, der Aufstand dort wäre nie so weit gekommen.“
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