piwik no script img

Opposition zur Halbzeit mit Angriffsschwäche

■ Heute vor zwei Jahren wurde die Große Koalition bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Amt bestätigt. Seitdem mühen sich Bündnisgrüne und PDS, dem Senat ein Bein zu stellen - mit unterschiedlic

In der Finanzpolitik ist sie die heimliche Senatorin: die Bündnisgrüne Michaele Schreyer. Unter Rot-Grün schon einmal in Regierungsverantwortung, beherrscht sie den Umgang mit öffentlichen Mitteln inzwischen genausogut wie ihr damaliges Umweltressort. Schreyer ist die schärfste Kritikerin der SPD-Kämmerin Annette Fugmann-Heesing. Das betrifft allerdings nicht die Einsicht in die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung, sondern die Art und Weise des Einsparens. Schreyer widersprach zum Beispiel vehement dem Verkauf der Bewag an Private. Sie votierte statt dessen für ein Überkreuzgeschäft mit den Hamburger Elektrizitätswerken. Das hätte ebensoviel Geld (rund drei Milliarden Mark) in die Kasse gebracht, und das Land hätte weiter die Karten für eine umweltfreundliche Energiepolitik in Händen gehalten.

Ein durchaus weites Feld ist die Stadtentwicklung. Vor allem für großangelegte Entwürfe. Doch den mit großem Getöse präsentierten Masterplan von Senator Peter Strieder (SPD) hat die Opposition gekonnt auseinandergenommen. Bauen in der Innenstadt – nur für wen? Verdichtung – auch in Parks und Grünanlagen? Verkehrsvermeidung – auch der um den Preis neuer Straßen? Neue Stadtbürger – und die alten? Alles das sind Fragen der Bündnisgrünen und der PDS, die Strieder bis heute nicht beantworten kann. Doch kluge Fragen werden am Ende nicht reichen. Zwar hat die Opposition das theoretische Gerüst der Megaplaner zum Einsturz gebracht – ob und wie der Masterplan realisiert wird, entscheidet allerdings die Mehrheit des Abgeordnetenhauses. Zur Not auch, ohne eine einzige Frage beantwortet zu haben.

In der Verkehrspolitik bieten nur die Grünen eine überzeugende Alternative zur Regierung: Fast schon hyperaktiv prangert Verkehrsexperte Michael Cramer den Kurs der Klemann-Verwaltung an: Egal, ob der BVG Millionen gestrichen werden, überflüssige U-Bahn-Linien wie in Pankow oder am Reichstag gebaut werden, die Straßenbahn ausgebremst wird oder die oberste Planungsmaxime die Abwehr von Eingriffen in den Autoverkehr ist. Die PDS meldet sich nicht zu Wort; zu groß ist die Angst vor der eigenen Autofahrer- Klientel. Auch in der Umweltpolitik gewinnen die demokratischen Sozialisten keinen Blumentopf. Das wichtigste Thema der letzten zwei Jahre, der Bewag-Verkauf, wurde wie bei SPD/CDU nicht unter Öko-Aspekten diskutiert. Ob Müllpolitik oder Solarkraft, ob Klimaschutz oder Agenda 21, die Öko-Partei liegt klar vorn.

Davon, daß Justizpolitik zu Zeiten der rot-grünen Koalition eine Domäne der Grünen war, ist nichts mehr zu spüren. Der rechtspolitische Sprecher Norbert Schellberg, der gleichzeitig Vorsitzender des parlamentarischen Rechtsausschusses ist, wirkt eher im stillen. Er kümmert sich mit großem Engagement um „Einzelfälle“, wie Gefangene im Knast und Opfer von Polizeiwillkür, setzt aber keine politischen Akzente. Von den einstigen Vorhaben der Grünen wie der Reduzierung des Sicherheitsaufwands in den Gefängnissen, dem Ausbau des offenen Vollzugs und der Spritzenvergabe für Gefangene ist nach sieben Jahren Großer Koalition nur noch eine einzige geänderte Ausführungsvorschrift übriggeblieben. Jene erlaubt, daß auch von einer Ausweisung betroffene ausländische Insassen in den Genuß von Vollzugslockerungen kommen können.

In der Innenpolitik machen die Grünen viele Punkte. Allen voran der von Freund und Feind fast gleichermaßen geschätzte innenpolitische Sprecher Wolfgang Wieland, „neben Schönbohm der einzige ernstzunehmende Innenpolitiker im Abgeordnetenhaus“, wie es sogar in Polizeikreisen heißt. Die von den Grünen seit Jahren eingeklagte Polizeireform wird jetzt endlich in die Tat umgesetzt und der aufgeblähte Polizeiapparat abgespeckt. Auch daß die Grünen den Großparteien immer wieder entgegenhalten, Polizei und Justiz könnten die zunehmenden Probleme nicht lösen, kommt nicht nur beim KoB auf der Straße gut an. Und für die außerparlamentarische Linke sind die Grünen stets die erste Adresse: bei polizeilichen Übergriffen, gegen rechtsextremistische Bestrebungen und wenn Bürgerrechte den Staatsinteressen weichen sollen. Die PDS ist bei letzteren Themen auch stets auf der Höhe der Zeit, doch fehlt ihr meist die Kompetenz und damit die Seriosität.

Die Ausländerpolitik hat die PDS zu einem wichtigen Politikfeld gemacht und ist damit auch durchaus erfolgreich. So kümmert sich die flüchtlingspolitische Sprecherin Karin Hopfmann nicht nur um Einzelpersonen, die abgeschoben werden sollen, sondern auch um die Lebensumstände von Bosniern und Vietnamesen allgemein. Jedoch hat die PDS bisher keine Politikkonzepte erarbeitet, wie die Stadt jetzt und zukünftig mit Migration und Flucht umgehen sollte. Die Grünen beschäftigen sich schon eher mit Integrationskonzepten für Nichtdeutsche, jedoch geht es auch ihnen um klassische Themen wie Einbürgerung und doppelte Staatsbürgerschaft. Die ausländer- und flüchtlingspolitischen Sprecher der Bündnisgrünen, Riza Baran und Ismail Kosan, wirken in der aktuellen Tages- oder Feuerwehrpolitik ohne Biß, prangern zwar zahlreiche Mißstände an und stellen viele Anfragen im Parlament, doch sie haben kein umfassendes Programm.

Noch in der letzten Legislaturperiode war die Wohnungspolitik eine der Stärken der Opposition. Doch davon blieb nicht viel übrig. Die Diskussion bestimmt der Senat mit seiner Politik des Ausverkaufs. Selbst zum Thema Wohnungsbauförderung haben Bündnisgrüne und PDS wenig zu sagen, obwohl gerade hier der Handlungsbedarf am größten ist. Schließlich bedürfte der teure Sozialwohnungsbau dringend einer Reformierung. Zwar hat die PDS ein Konzept für „kommunales Sondervermögen“ entwickelt, doch was sich dahinter verbirgt, weiß immer noch keiner. Vielleicht liegt das ja auch daran, daß der Wohnungsbau der PDS mit Verkäufen im Bestand finanziert werden soll. Das Ergebnis fehlender Opposition: Der Senat kann ungestraft Sozialwohnungen streichen und statt dessen Einfamilienhäuser am Stadtrand fördern.

Wenn es um Bettenabbau oder die Ausbildungsmisere in Krankenhäusern geht, ist Bernd Köppl, bündnisgrüner Sprecher für Gesundheitspolitik, der einzig ernstzunehmende Gegenspieler von Gesundheitsstaatssekretär Detlef Orwat (CDU). So fordert er etwa mehr Betten für überregionale Patienten, damit Berlin als Dienstleistungsstandort attraktiver werde. Köppl kritisiert nicht nur, sondern zeigt auch Alternativen auf. Die PDS-Gesundheitspolitik ist bislang nicht aus dem Schatten Köppls herausgetreten. In der Sozialpolitik, eigentlich ein klassisches Betätigungsfeld der Grünen, hat die Partei genauso wie die PDS keine nennenswerten Diskussionen ausgelöst. Auch die PDS macht in diesem Bereich nur häppchenweise Politik, versucht beispielsweise, Jugendclubs im Osten zu retten. Umfassendere Politikbeiträge fehlen jedoch.

In der Hochschulpolitik haben sich zwei junge Männer aus der Opposition heraus Anerkennung erworben. Benjamin „Benni“ Hoff (21), der Parlamentsjüngste von der PDS, und der Bündnisgrüne Anselm Lange (31) halten Wissenschaftssenator Peter Radunski (CDU) auf Trab. Ihr schärfster Kritikpunkt ist die Zahl an Studienplätzen. Hoff wie Lange halten die – ab dem Jahr 2000 gefährdeten – 85.000 Studienplätze als nicht annehmbar für eine Metropole wie Berlin. Sie fordern 100.000 ausfinanzierte Studienplätze – nur das wäre eine echte Prioritätensetzung für Wissenschaft. Lange fordert darüber hinaus eine engere Verzahnung mit der Forschung und mehr Kompetenzen für die Fachbereiche in den Unis. Hoff plädiert dafür, den Beamtenstatus für Professoren abzuschaffen. Das ergebe Spielräume, den Nachwuchs zu stärken.

In der Arbeitsmarktpolitik hat die Opposition nur ein einziges Mal die öffentliche Debatte bestimmt. Im Auftrag der Bündnisgrünen erarbeitete der FU-Professor Peter Grottian ein Modell für die Umverteilung von Stellen und Gehalt im öffentlichen Dienst. Das Ziel: Bereitstellung einiger tausend zusätzlicher Jobs für Arbeitslose und Neueinsteiger. Die PDS legte ein ähnliches Konzept vor. Die Vorschläge wurden breit diskutiert – unter anderem weil die ÖTV den teilweisen Lohnverzicht im Interesse ihrer Mitglieder ablehnte. Auch Innensenator Schönbohm schaltete auf stur. Bei der Wirtschaftspolitik stochern Grüne und PDS in den Anträgen und Anfragen, ohne die Große Koalition in die Bredouille zu bringen. „Der große Entwurf kam von uns nicht“, sagt der grüne Wirtschaftssprecher Vollrad Kuhn, „aber auch nicht von den anderen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen