: „Opfer zum Täter gemacht“
BewohnerInnen des abgebrannten Lübecker Flüchtlingsheims fordern internationale Untersuchungskommission. „Lügengeschichten“ über Rivalitäten im Heim ■ Von Marco Carini
Hamburg (taz) – Die ehemaligen BewohnerInnen des vor einem Monat abgebrannten Flüchtlingsheims in der Lübecker Hafenstraße klagen an: Mit „einseitigen Ermittlungen“ und „falschen Behauptungen“ würden die Lübecker Polizei und Staatsanwaltschaft versuchen, den Libanesen Safoan E. zum Täter zu stempeln. Zudem habe es schwere Versäumnisse von Polizei und Feuerwehr gegeben, die möglicherweise die Rettung von einigen der Brandopfer verhindert hätten. Flüchtlings- und Antifa-Initiativen, die die Lübecker MigrantInnen am Freitag abend zu einer Veranstaltung in die Universität Hamburg eingeladen hatten, fordern deshalb eine „unabhängige internationale Untersuchungskommission“, zur Aufklärung des Brandanschlags.
Als „Lügengeschichten“ bezeichnete ein ehemaliger Bewohner der abgebrannten Unterkunft die in die Medien gestreuten Behauptungen der Polizei, in der Flüchtlingsunterkunft habe es Konflikte zwischen Migranten arabischer und afrikanischer Herkunft gegeben. Die Afrikanerin Marie A. zeigte sich „über solche Presseberichte überrascht und entsetzt“. Mehrere ehemalige BewohnerInnen der Hafenstraße bestätigten, daß es in der Sammelunterkunft „keine Rivalitäten gegeben“, sondern eine sehr entspannte, ruhige und solidarische Atmosphäre“ geherrscht habe. Die Konfliktgerüchte sollten dem tatverdächtigen Safoan E. nur ein Motiv unterschieben. Alle Flüchtlinge, die auf der Veranstaltung das Wort ergriffen, erklärten, für sie komme Safoan E. als Täter nicht in Frage.
Es sei nicht erklärbar, daß er ein Feuer gelegt, sich anschließend wieder ins Bett begeben, selbst Verbrennungen erlitten und sich dann gegenüber einem Feuerwehrsanitäter der Tat bezichtigt habe. Es spreche nicht für seine Glaubwürdigkeit, daß der Sanitäter die Polizei erst nach zwei Tagen – nach Ausschreibung einer 50.000-Mark-Belohnung – über das angebliche Geständnis informiert hatte. Mohamed E., der Bruder des Tatverdächtigen: „Während dreißig Flüchtlingen nicht geglaubt wird, reicht eine einzige Zeugenaussage eines Deutschen aus, um Safoan zum Täter zu stempeln.“ Für einen Brandanschlag mit „rassistischem Hintergrund“ spreche, daß der Gehsteig vor ihrer abgebrannten Unterkunft schon einmal mit Benzin übergossen wurde und vergangenes Jahr drei Deutsche versucht hatten, in die Unterbringung einzusteigen, so die Flüchtlinge. Zudem hätten unabhängige Recherchen ergeben, daß die Tankstelle, auf der drei der vier zuerst der Tat verdächtigten Männer aus Grevesmühlen kurz vor Ausbruch des Feuers von der Polizei kontrolliert wurden, nicht – wie offiziell verlautbart – 15, sondern nur 5 Kilometer vom Tatort entfernt liegt.
Die Lübecker Flüchtlinge warfen Polizei und Feuerwehr eklatante Versäumnisse in der Brandnacht vor. Ein Augenzeuge: „Die Hilfsmaßnahmen wurden stark verzögert.“ Die Beamten hätten sich an der Rettung der vom Feuer eingeschlossenen Flüchtlinge „nicht beteiligt“. Ein afrikanischer Asylbewerber berichtete, er habe versucht, einen Feuerwehrmann darüber zu informieren, wo sich die meisten eingeschlossenen Flüchtlinge befänden. „Sie haben sich geweigert, mir zuzuhören, und mich weggezogen.“ Während der Veranstaltung warfen Unbekannte einen handtellergroßen Stein gegen die Scheibe des mit 150 ZuhörerInnen besetzten Hörsaals.
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