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Archiv-Artikel

Oper im Umbruch

Andreas Bode inszeniert auf Kampnagel den „Freischütz“ – und riskiert dabei einigen Frevel. Ein Versuch gegen die traditionelle Aufführungspraxis

von Christian T. Schön

Wir leben im Umbruch. Langsam wird es klar. Mit den Zustellungsbescheiden vom Alg II wird es noch klarer. Wie aber fühlt sich Umbruch an? Gut oder schlecht? Die Zeit des Kitzels ist vorbei, doch aus dem Kitzel wird, bevor er Schmerz wird: Angst. Halt! ruft die Angst, alles zurück auf Null, alles falsch: Wir machen den Umbruch nicht! Ein romantischer Reflex. Traditionen schützen vor dieser Angst. Sie sind der Kern des romantischen Reflexes. War immer so, wird immer so sein. Auch im Theater, in der klassischen Musik und in der Oper, kämpfen die jungen Talente mit der Tradition des Theater- und Bühnen-Apparats. Klangliche Vorstellungen, Tempi, Besetzung und Ablauf sind (beim Publikum wie bei den Ausführenden) fest ins kollektive Gedächtnis eingefräst.

Für eine frische Inszenierung ist das ein Problem. In Hamburg etwa haben Peter Konwitschny und Ingo Metzmacher gute Ansätze für ein modernes Opernregietheater geliefert. „Jeder bringt seine Vorstellung des Werkes mit“, umreißt Andreas Bode diese Schwierigkeit. Und genau gegen diese Vorstellung arbeitet er an: Morgen hat seine Inszenierung der Oper Der Freischütz von Carl Maria von Weber und Friedrich Kind auf Kampnagel Hamburg-Premiere.

Das Opus ist der Prototyp der deutschen romantischen Oper. 1821 uraufgeführt, gehört das Werk zu den beliebtesten Opern überhaupt. Die Musik ist schwärmerisch, emotional – Frühromantik eben –, Nadelgeruch atmend, von Waldhornklängen durchwoben: Jägerbursche Max muss beim Probeschuss – einem Wettballern um die beste Trefferquote – gewinnen, damit er die Tochter des Försters Kuno freien kann. Von finsteren Mächten verführt, gießt er in der Wolfsschlucht sechs treffsichere Kugeln sowie eine siebte, über die das Böse gebietet.

Das Libretto von Friedrich Kind gilt gemeinhin als schwach und in der Erzählung inkonsequent. „An diesen Brüchen setzt die Inszenierung an“, erklärt Bode, „das Surreale, Doppelbödige dieses grobkörnigen Kunstwerkes soll aufgedeckt werden.“ Junge Ideen treten hier gegen alte Traditionen an: die sieben Schüsse fallen, ein Mensch ist tot – am Ruf eines Eremiten, das veraltete Probeschießen abzuschaffen, entfacht sich der Showdown.

„Wir können den Hörer von 1821 nicht rekonstruieren“, betont Dirigent Titus Engel. Zusammen mit Tobias Schwencke hat er ein Arrangement entworfen, das auf den heutigen Zuhörer ähnlich wirken soll wie auf Webers Zeitgenossen. Das heißt: Weg von der Idealumsetzung der Aufführungspraxis, hin zu einem zeitgenössischen Arrangement, das das Historische nachspürbar macht. Engel analysiert hierfür Webers Partitur als Mixtur aus populären Arien, Stimmungen und für die damalige Zeit avantgardistischen Klängen, wie sie etwa die Wolfsschlucht-Szene bietet.

Die Gassenhauer werden folglich in der Kampnagel-Inszenierung von einem Saxophon flankiert; der teuflischen Kumpanei in der „Wolfsschlucht“ werden durch Spieltechniken des 20. Jahrhunderts neuartige Klänge beigemischt wie das sehr unlyrische Schrammen der Violinensaiten.

An den Noten allerdings ändert sich dadurch nichts. Bode und Engel nehmen (oh Frevel!) lediglich einige Streichungen vor und setzen Akzente in der Instrumentierung: Die 60 Stimmen aus Webers Partitur schrumpfen auf ein Kammerorchester mit zwölf Musikern. Die Blechbläser sind überproportional besetzt, Streicher wurden reduziert, Akkordeon und Saxophon kommen dazu.

Die für Opern ungewöhnlich enge Zusammenarbeit von Regisseur und Dirigent spiegelt sich im Übrigen auch auf der Bühne wider, wo Sänger und Orchestermusiker zusammen sitzen und nicht durch einen Graben getrennt sind.

Weder Bode, noch Engel würden ihre Inszenierung allerdings „radikal“ nennen. Aber ihr Freischütz ist ein erster Versuch gegen den romantischen Reflex, gegen die Erstarrung von Aufführungspraxis und Rezeption. Ohne Versuche wird sich die Tradition nicht brechen lassen. Der Kitzel für die Oper hat damit aber erst begonnen.

Premiere: Fr, 19.11., 20 Uhr. Weitere Aufführungen 21., 25., 26.11., 9.-11. und 16.-19.12., 20 Uhr. Kampnagel Hamburg, Jarrestr. 20