Online Musikvertrieb: Radiohead expandieren ins Internet
Die Indie-Band Radiohead zeigt den Plattenfirmen, wie moderner Musikvertrieb geht: Sie veröffentlicht ihr neues Album im Internet. Zahlen darf jeder, was er will.
Bislang war die Plattenbranche immer davon ausgegangen, dass die zahllosen Raubkopierer im Internet ihren Untergang einleiten würden - schließlich werden diese immer wieder gerne als Begründung dafür genannt, dass die Industrie seit mehreren Jahren zweistellig schrumpft. Doch der Einbruch der Verkäufe könnte künftig auch von anderer Seite kommen: wenn Bands und Künstler sich entschließen, den Vertrieb ihrer Werke selbst zu übernehmen, was dank Internet heutzutage enorm einfach ist. Die traditionelle Vermittler-, Aussiebe- und Gatekeeper-Rolle, die die Labels zwischen Musiker und Publikum derzeit einnehmen, würde damit wegfallen.
Radiohead, die einflussreiche britische Indie-Band um Sänger Thom Yorke, die den Siegeszug des Indierock in den Mainstream anführte, machen der Branche vor, wie das gehen könnte. Wie die Gruppe in ihrem Weblog ankündigte, wird das neue Album "In Rainbows" ab dem 10. Oktober zunächst direkt über die eigene Homepage der Band vermarktet. Zum Selbstvertrieb gesellt sich dann noch eine ganz besondere Innovation: Die Nutzer können für die Download-Variante des Albums den Preis selbst bestimmen. Die Platte mit ihren zehn Songs wird im kopierschutzfreien MP3-Format verkauft und kostet so theoretisch minimal 45 britische Pence (64 Cent) - das entspricht der Kreditkarten-Transaktionsgebühr. Viele Fans werden aber, so ist sich die Band sicher, deutlich mehr für das lange erwartete Album zahlen. Auf der anderen Seite des Spektrums will Radiohead eine spezielle "Deluxe-Discbox" mit Vinyl-Platten und Buch für rund 40 Pfund (knapp 57 Euro) im Paketversand anbieten, um auch die gutbetuchten Fans zu erreichen.
Sänger Yorke und seine Kollegen konnten den Weg dieses neuen Vertriebsmodells gehen, da sie mit der Platte "Hail to the Thief" aus dem Jahre 2003 ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Großlabel EMI erfüllt hatten. Seither spekulierte die Branche bereits, wie die Band wohl ihr nächstes Werk vertreiben würde - traditionell über ein neues Label oder aber direkt über das Netz. Radiohead haben sich offensichtlich auf ganzer Linie für letzteren Weg entschieden, wie eine mit den Aufnahmen vertraute Person dem Wall Street Journal am Montag sagte. Weder bei der Aufnahme, noch bei der Herstellung, noch beim Vertrieb sei ein Musikkonzern involviert gewesen. Und die Kreditkartentransaktionen werden über eine Merchandisingfirma abgewickelt, die zuvor bereits T-Shirts und andere Fan-Artikel für Radiohead vermarktet hatte.
Radiohead hatten erst kürzlich dem Status Quo des digitalen Musikmarktes eine Abfuhr erteilt - dort haben nun Unternehmen wie Apple mit iTunes oder Microsofmit ihrem Zune Store den digitalen Direktvertrieb von Label- und Indie-Musik übernommen und kassieren bis zu 30 Prozent als Transaktionsgebühr. Radiohead kündigten an, ihr Material nicht bei iTunes zu verkaufen, weil es dort nicht möglich sei, nur ganze Alben anzubieten. Apple aber verlangt, dass die meisten Albensongs gleichzeitig zum Stückpreis von 99 Cent verkauft werden können. Radiohead entschied sich daher, seine Alben im neuen Amazon.com MP3 Store anzubieten, wo Bands und Labels die Vertriebsform selbst definieren können.
Das Eigenvertriebs-Experiment könnte für Radiohead ein Erfolg werden. Schließlich handelt es sich um eine Veteranen-Band des Indie, die nahezu religiös verehrt wird - die Nachricht vom Online-Verkauf verbreitete sich im Internet folglich schnell. Viel Werbung wird die Band also nicht machen müssen. Doch genau das Marketing ist es, dass Musikfirmen als ihre Kernkompetenz hochhalten und sich von neuen Künstlern in Form von Vorschussabzügen teuer bezahlen lassen.
Trent Reznor, Gründer der Elektronik-Rocker Nine Inch Nails, will ähnlich wie Radiohead neue Vertriebsmodelle aufbauen. Sein nächstes Album soll so bloß vier Dollar kosten und auf Konzerten fordert er seine Fans schon einmal auf, seine Musik zu kopieren, wenn sie ihnen auf CD zu teuer erscheint. Doch ob sich das Eigenvertriebs-Modell auch auf junge, noch unbekannte Bands übertragen lässt, bleibt fraglich.
Im Internet hat sich zwar eine große Szene entwickelt, in der neue Künstler über ihre eigene Website oder Angebote wie MySpace oder Virb.com an ihr Publikum gelangen - und Bands wurden so bereits entdeckt. Doch nach der Erlangung von genügend Aufmerksamkeit geht es oftmals bei einem klassischen Label weiter. Die ehemaligen MySpace-Helden Arctic Monkeys sind so etwa zufrieden beim Indievertrieb Domino gelandet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Greenpeace-Vorschlag
Milliardärssteuer für den Klimaschutz
Katja Wolf über die Brombeer-Koalition
„Ich musste mich nicht gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen“
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen