Omid Nouripour zum Iran: „Ich verstehe die Frustration“
Grünen-Chef Omid Nouripour ist in Iran geboren. Er fordert von der EU, die iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation zu listen.
taz: Herr Nouripour, sind die Proteste im Iran gescheitert?
Omid Nouripour: Dass sie weniger sichtbar sind, heißt nicht, dass sie zu Ende sind – und erst recht nicht, dass die Gründe für den Protest weggefallen sind. Es gibt weiterhin sehr viele kreative Protestformen: Graffiti, Banner, Plakate. In Regionen wie Belutschistan im Südosten gehen die Leute auch weiterhin rege auf die Straße.
Sie sind im Iran geboren und dem Land bis heute verbunden. Wie fühlt es sich für Sie an, die Proteste aus der Ferne zu verfolgen und parallel in Berlin Bundespolitik zu betreiben?
Damit bin ich nicht allein und das ist emotional unerträglich. Das geht vielen Leuten so, die dem Land biografisch oder anderweitig verbunden sind. Aber es hilft ja nichts, sich davon lähmen zu lassen. Im Gegenteil: Wir müssen daraus unseren Ansporn ziehen, die Menschen im Iran auch weiterhin zu unterstützen.
46, sitzt seit 2006 für die Grünen im Bundestag und war zuletzt außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Nun ist er gemeinsam mit Ricarda Lang Bundesvorsitzender der Grünen.
Sowohl von der CDU im Bundestag als auch aus der iranischen Diaspora gibt es Kritik am grünen Regierungshandeln. Sie könnten demnach mehr für die Protestbewegung tun. Trifft Sie der Vorwurf?
Manche Abgeordnete erkennen ihre Leidenschaft für Menschenrechte wohl erst in der Opposition. Dagegen verstehe ich, dass es in der Diaspora den Wunsch gibt, dass es schneller geht. Sie stellt Forderungen, die ich nachvollziehen kann und die wir zum Teil selbst formuliert haben. So haben wir bei unserem Parteitag im Oktober schon die Aufnahme der Revolutionsgardisten auf die EU-Terrorliste gefordert.
Durch eine solche Listung würden die Revolutionsgarden breiter sanktioniert als bisher. Es wäre verboten, sie in irgendeiner Form von Europa aus zu unterstützen. Ein starkes politisches Signal wäre es auch. Wann ist es so weit?
Wenn es uns und die grüne Außenministerin nicht gäbe, stünde die Listung nicht permanent in Brüssel auf der Tagesordnung. Annalena Baerbock formuliert sehr klar, dass das passieren muss; sie hat selbst schon gesagt, dass sie die Revolutionsgarden für eine Terrororganisation hält. Wir halten das alle für ein effektives Instrument, um auf die Revolutionsgarden als Rückgrat der Unterdrückung Druck auszuüben. Dafür braucht es jedoch eine Einstimmigkeit in der EU, die es bedauerlicherweise derzeit nicht gibt.
Welche Staaten sind dagegen?
Sie finden in der EU nur eine Handvoll Staaten, die in derselben Lautstärke wie Deutschland eine Listung der Revolutionsgarden fordern. Das führt im Übrigen dazu, dass es jedes Mal, wenn die Außenministerin dieses Thema fährt, sehr aggressive Töne aus dem Regime gibt. Der iranische Außenminister stellt Annalena Baerbock auf eine Stufe mit dem Außenminister der – aus Sicht des iranischen Regimes – verfeindeten USA. Das zeigt deutlich, dass sie sehr vieles richtig macht.
Das Auswärtige Amt argumentiert nicht nur mit der fehlenden Einstimmigkeit, sondern macht sich auch rechtliche Bedenken zu eigen.
Anders als der Iran sind wir ein Rechtsstaat – und halten uns an Recht und Gesetz. Deswegen hat das Auswärtige Amt richtigerweise darauf verwiesen, dass eine Rechtsgrundlage erst noch zu schaffen ist. Die EU-Kommission und insbesondere der Außenbeauftragte Josep Borrell sollten mit mehr Herzblut und Dringlichkeit an einer gesetzlichen Grundlage für die Listung arbeiten.
Ihre Kritiker sagen: Rechtlich wäre es jetzt schon möglich.
Für eine europäische Listung der Revolutionsgarden braucht es in der Regel Verurteilungen oder Ermittlungen im Zusammenhang mit Terrorismus. Es stimmt, dass es in den USA bereits Urteile gegen die Revolutionsgarden gibt. Doch zur Frage, ob das für eine Listung hier in Europa ausreicht, gibt es in der EU keine geeinte Einschätzung. Damit sind wir wieder am politischen Punkt: Es gibt derzeit leider keine Einhelligkeit in dieser Frage in der EU.
Steckt hinter der Zögerlichkeit auch der Wunsch, Gesprächskanäle zum Regime aufrechtzuerhalten – um irgendwann auch wieder die Verhandlungen über das Atomabkommen aufzunehmen und eine iranische Atombombe zu verhindern?
Es wird momentan gar nicht gesprochen und erst recht nicht verhandelt. Es gibt keine Gesprächsgrundlage mit der iranischen Seite.
Und in Zukunft? Sollte der Westen die Gespräche jetzt auch formell und endgültig beenden?
Mit Sorge beobachten wir die Weiterentwicklung des iranischen Nuklearprogramms. Alle westlichen Staaten, die an den Verhandlungen beteiligt sind – Großbritannien, Frankreich, Deutschland und die USA – sollten in dieser Frage sehr eng zusammenstehen.
Israel hat den Iran diese Woche mutmaßlich mit Drohnen angegriffen. Die US-Regierung schließt einen Militärschlag gegen das Atomprogramms auch nicht aus. Wie viele Sorgen macht Ihnen das?
Dass Israel um seine Sicherheit massiv besorgt ist, verstehe ich. Doch ein iranisches Atomprogramm kann mit militärischen Mitteln wohl höchstens verzögert und nicht verhindert werden. Am Ende braucht es eine politische Lösung.
Und wie soll die nun aussehen?
Wenn das jemand wüsste, wäre die Welt ein besserer Ort. Sie zu finden, ist ständige und anhaltende Aufgabe. Dafür braucht es die Geschlossenheit des Westens, für die wir uns tagtäglich auch in Regierungsverantwortung einsetzen.
Themenwechsel: In einem Patenschaftsprogramm versuchen deutsche Abgeordnete, Aufmerksamkeit für bedrohte Aktivist*innen im Iran zu schaffen. Nehmen Sie daran teil?
Es gibt eine Reihe solcher Patenschaftsprogramme. Bei zwei davon bin ich seit Jahren aktiv dabei: Bei dem des Bundestags und dem der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte.
Wir meinten eigentlich ein neues Programm, das aus der Diaspora organisiert wird und derzeit viel Aufmerksamkeit erhält. Die Organisatorinnen kritisieren die Grünen: Von Ihnen seien weniger Abgeordnete dabei als von anderen Parteien.
Das ist ein ehrenvolles Programm und ich danke all jenen, die es organisieren und dadurch einen Beitrag zur öffentlichen und politischen Debatte leisten. Aber es ist nicht seriös, unser Engagement für die Menschen im Iran an der Teilnehmerstatistik eines einzelnen Programms zu bemessen.
Würde man alle Programme nebeneinander legen, sähen die Zahlen besser aus?
Ja, aber auch das wäre nicht das einzige Indiz für Menschenrechtsarbeit. Man muss von Fall zu Fall schauen. Wenn es zu einer Besserung von Haftbedingungen durch geschaffene Öffentlichkeit kommt, bin ich darüber sehr froh und dankbar. Das Argument, dass Aufmerksamkeit in manchen Fällen eher schaden kann, ist aber auch nicht völlig abwegig. Ich kenne Fälle, bei denen Leute dadurch aus dem Hausarrest zurück ins Foltergefängnis mussten.
Können Sie Beispiele nennen?
Leider nein, weil die entsprechenden Personen immer noch im Gefängnis sind. Allein das zeigt doch, wie komplex und sensibel diese Fragen sind.
Lassen Sie uns weitere Kritikpunkte durchgehen: Deutschland ist restriktiv bei der Visavergabe. Wer sich bedroht fühlt, kommt nicht raus aus dem Iran.
Die Visaabteilungen im Iran sind seit Jahren ein Problemfall. Die Wartezeiten betrugen zuweilen auch mal eineinhalb Jahre. Dem ist aber gerade in den letzten Monaten sehr viel Abhilfe geschaffen worden und ich gehe davon aus, dass weitere Maßnahmen zur Besserung der Visavergabe für politisch verfolgte Iranerinnen und Iraner folgen werden.
Warum schränken Sie die deutschen Handelsbeziehungen zum Iran nicht weiter ein?
Ich wüsste nicht, dass die Geschäftsbeziehungen mit dem Iran florierten.
Empört waren Aktivist*innen über einen Iran-Pavillon auf einer Düsseldorfer Gesundheitsmesse.
Ich verstehe, dass die Leute solche Auftritte nicht ertragen können. Mir geht es nicht anders. Ich habe ja auch Verwandte im Iran verloren. Über die Hinrichtung meines Onkels habe ich vor Jahren in einem Gastbeitrag in der taz geschrieben. In einem Rechtsstaat können wir aber nicht einfach die Hebel umlegen und von heute auf morgen bestehende Verträge auflösen oder Zuwendungsbescheide annullieren. Ähnlich sieht es übrigens mit der Schließung des IZH in Hamburg aus.
Sie meinen das Islamische Zentrum Hamburg – eine Gemeinde, die der Verfassungsschutz als wichtigste Vertretung des Iran in Deutschland bezeichnet.
Dieses offensichtliche Spionagenest gilt es zu schließen. Die sind zuständig für die Einschüchterung und Ausspähung von iranischen Protestierenden in Deutschland. Die Angelegenheit liegt jetzt bei der Bundesinnenministerin. Ich hoffe sehr, dass sie so bald wie möglich erwirkt, dass das IZH geschlossen wird. Aber auch da gilt: Es muss rechtsstaatlich laufen und es dauert daher.
Die Grünen haben sich immer als Partei der Menschenrechte und des Feminismus geriert. Jetzt sagen Sie: Hier ist es juristisch schwierig, da muss ein paar Wochen gewartet werden und dort sind die anderen schuld. Dass das Enttäuschung produziert, dürfte Sie nicht wundern.
Was im Iran passiert, ist unerträglich. In dieser hilflosen Situation eine Regierung vorzufinden, die sich zur feministischen Außenpolitik bekennt, weckt natürlich Erwartungen. Das ist auch gut so. Wir können trotzdem nicht aus Tausenden Kilometern Entfernung nach 44 Jahren mit zwei Handgriffen die staatlich organisierte Unterdrückung der Frauen beseitigen. Ich verstehe die Frustration und die Ungeduld der Menschen. Dass sie an uns besonders hohe Erwartungen haben, ehrt und verpflichtet uns.
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