Olympisches Eishockey: Kanadas Wiedergeburt als Kanada
Nach dem überlegenen Viertelfinal-Sieg gegen Weltmeister Russland wähnen sich die Kanadier wieder auf der Siegerstraße. Sie wollen Gold. Schließlich sei Eishockey ihr Spiel.
VANCOUVER taz | Als nur noch ein paar Sekunden zu spielen waren, stand das Publikum im "Canada Hockey Place" auf und rief aus voller Kehle: "We want Gold, we want Gold". Sie wollen ihr Team also im Finale des olympischen Eishockeyturniers siegen sehen.
So etwas wäre vor ein paar Tagen nach dem schmählichen 3:5 gegen die USA noch ausgeschlossen oder zumindest ziemlich gewagt gewesen. Nur die größten Optimisten und furchtbar verbohrte Eishockeyfans, im Grunde also gar nicht so wenige Kanadier, hielten es noch für möglich, dass es Kanada schaffen könnte.
Doch jetzt ist der Titel wieder zum Greifen nah. In der Nacht zu Donnerstag haben die im Vorfeld so gehypten Gastgeber den Weltmeister aus Russland im Viertelfinale mit 7:3 geschlagen und sind endlich den Beweis ihrer Favoritenstellung angetreten. Es war eine Demonstration modernen, schnellen, physischen Hockeysports. "Wir haben auf die kanadische Art gewonnen", sagte Rick Nash von den Columbus Blue Jackets. "Wir haben ein offensives Feuerwerk gezündet, aber wir haben auch sehr gut verteidigt", führte der Torschütze zum 3:0 fort.
Die Russen konnten gar nicht so schnell schauen, da lagen sie im ersten Drittel schon aussichtslos zurück. Der russische Trainer Wjatscheslaw Bykow musste nach knapp 13 Minuten sogar eine Auszeit nehmen, um die rauchenden Köpfe seiner konfusen Spieler abzukühlen und ihnen ein Programm zur Krisenintervention zu verordnen.
Ihr Starspieler Alexander Ovechkin konnte so gut wie keine Akzente setzen, und der Goalie der Sbornaja, Jewgeni Nabokow, verließ nach dem 1:6 sogar entnervt den Kasten. Sein Kollege Ilja Bryzgalow schien zwar besser in Form zu sein, musste aber auch einmal hinter sich greifen.
Die Kanadier hatten erfolgreich auf eine Überrumpelungstaktik gesetzt. Mit Hochgeschwindigkeitshockey und einer klaren Präferenz für den harten Bodycheck setzen sie die Russen unter Druck. "Wir haben für gehörigen Wirbel gesorgt", sagte Corey Perry, zweifacher Torschütze. "Wir wollten physisch spielen, wir wollten forechecken, wir wollten schlichtweg unser Spiel spielen."
Dabei taten sich eher die Spieler aus der zweiten Reihe als Matchwinner hervor: Dan Boyle etwa, der bei den San Jose Sharks unter Vertrag steht, oder Shea Weber von den Nashville Predators.
Es lief also nicht auf das große Duell von Ovechkin und Sidney Crosby hinaus, die sich die letzte bedeutende Auseinandersetzung im letztjährigen NHL-Playoff-Viertelfinale im Trikot der Washington Capitals und Pittsburgh Penguins geliefert hatten, nein, die Partie wurde von eher unbekannten Teamspielern gewonnen. "Viele haben nicht erwartet, dass wir nach dem Spiel gegen die USA auf diese Weise zurückkommen", sagte Weber. "Crosby gegen Ovechkin war die große Rivalität, auf die im Vorfeld jeder Bezug genommen hat", sagte Boyle, "aber wir hatten heute Wichtigeres zu tun".
"Es ging nicht um Ovechkin oder Crosby, es ging um Russland gegen Kanada", sagte auch Trainer Mike Babcock, der in typischer nordamerikanischer Manier davon sprach, dass sein Team sehr früh "das Momentum" auf seiner Seite gehabt habe. Ovechkin meinte, man solle das russische Team nicht aufgrund dieses Spiels bewerten, "wir sind immer noch stark, im Grunde spielen wir auf dem selben Niveau wie Kanada, nur waren sie diesmal besser eingestellt".
Es sind nur noch zwei Spiele bis zum olympischen Triumph. Mike Babcock will sich bis zum Finale am Sonntag in einen "Redneck" verwandeln, wie er ankündigte, in einen hinterwäldlerischen Proleten. Und als solcher dürfe er behaupten, dass Eishockey das Spiel der Kanadier sei. "Ich weiß, es wird überall auf der Welt gespielt, aber wir sagen trotzdem, es sei unseres." Und wer die Eigentumsrechte am Spiel besitzt, der will auch die Goldmedaille. Logisch.
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