■ Olympiabewerbung: Rückzugspositionen
Mit der Olympiabewerbung verhält es sich wie mit den meisten Segnungen der Bürokratie: Vorher hat sie keiner vermißt, doch einmal ins Leben gerufen, schaffen sie sich fortwährend ihren eigenen Daseinszweck. Welcher Protagonist der Spiele vermag noch ernsthaft Kosten und Nutzen des Vorhabens zu wägen, würden ihm doch, bei der geringsten Äußerung eines Zweifels, die bereits verpulverten zig Millionen um die Ohren gehauen. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, reagieren die Olympiabetreiber mit verlogener Bärbeißigkeit, wenn ausgerechnet einer der ihren eine völlig naheliegende Überlegung ausspricht. Was tun wir, so fragt sich NOK- Präsident Tröger, wenn wir die Spiele 2000 nicht erhalten? Anstatt Antworten zu geben, was immerhin den beruhigenden Eindruck von Weitsichtigkeit vermitteln würde, reagieren der Regierende Bürgermeister und seine Olympia-Crew darauf wie katholische Priester auf den Bruch des Zölibats: Immer daran denken, nie darüber reden. Dabei wäre das ein oder andere Wort über eine prophylaktische Schadensbegrenzung durchaus angebracht. Weitsichtig zeigt sich hier ausnahmsweise die Verkehrsverwaltung, die vor der Entscheidung des IOC keine haushaltsrelevante Entscheidung über den Olympia-Express treffen will. Das Projekt Olympiahalle schiebt die Bauverwaltung seit einem Jahr vor sich her, es kann getrost auch die nächsten fünf Monate auf Eis liegen, um hernach neu beschieden zu werden. Selbst in der Spitze der Regierungskoalition überlegt man allmählich Alternativszenarien. Der Regierende Bürgermeister hat jedoch, indem er sich selbst zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Olympia-GmbH hat küren lassen, sein Schicksal an das der Bewerbung geknüpft. Diepgen wird nicht ohne erheblichen Gesichtsverlust aus einer gescheiterten Bewerbung hervorgehen. Die einzig erkennbare Form, in der dem vorgebaut wird, ist die staatsanwaltschaftliche Betriebsamkeit, mit der Olympiavideos gesichtet und Olympiagegner verfolgt werden. Auch wenn es beide Seiten gleichermaßen gerne glauben machen, ist sie weniger Ausdruck der tatsächlichen Bedrohung, sondern die Suche nach einem Buhmann, der der Bevölkerung nach dem 23. September präsentiert werden kann, um vom eigenen Scheitern abzulenken. Dieter Rulff
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