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Ohren haben keine Lider

■ Perlen des DDR-Trash und verweichlichte Westkunst beim Hörspielforum NRW

„Höre Israel“ spricht der Herr der Schrift zufolge, und Israel hört, also gehorcht es. Denn der Befehl ist der Sprechakt mit dem man Menschen am besten in Formation bringen kann. Gesellschaften „informiert“ man über das Gehör, schon weil die Ohren keine Lider haben, so der Wuppertaler Ästhetikprof und -papst Bazon Brock als er in der letzten Septemberwoche in Köln das diesjährige Hörspielforum NRW eröffnete, die wichtigste Zusammenkunft von Hörspielmachern, -dramaturgen, -regisseuren und -technikern in Deutschland.

In der Architektur, sagt der Professor, spiegeln sich soziale Kommunikationsstrukturen. Die vertikal orientierte (und orientierende) gotische Kathedrale, der horizontal orientierte Hauptbahnhof, und das (alte) Wallraf-Richartz-Museum als Kirche der Moderne sind in Köln von den herrschenden Preußen Mitte des 19. Jahrhunderts etwa zeitgleich fertiggestellt worden. Und zwar – so Brock weiter – nicht als rückwärtsgewandte Reminiszenz an das Mittelalter, sondern um die Kraft moderner Informationsströme mit spirituellen Kräften zu verkoppeln.

Um die Vierung komplett zu machen fehlte da nur noch ein mächtiger Sender, der die Befehle übermittelt. Hundert Jahre später steht neben dem Dom, dem Bahnhof und dem Museum der WDR.

Die Hörspielmacher konnten sich als Motto für ihre Arbeitskonferenz nur zu dem halbherzigen Imperativ „Hör:Räume“ durchringen – ohne den unhörbaren Doppelpunkt und typographisch ebenso ohrenbetäubenden Großbuchstaben innerhalb von Sendetiteln geht es offensichtlich nicht mal mehr bei der verstaubten Kunst des Hörspiels.

Wie man Hörgewohnheiten formt, hat der Rundfunk der DDR mit dem sogenannten Nalepa- Sound, benannt nach dem Standort des Funkhauses an der Nalepa- Straße, vorexerziert. Dennoch konnte Ostregisseur Wolfgang Rindfleisch in seinem „Kurzen Lehrgang“ (Von der Balaleika lernen heißt zit[t/h]ern lernen) vergessene Perlen des DDR-Trash der frühen siebziger Jahre präsentieren. Günther Rückers „Das Modell“ muß unbedingt wieder gesendet werden!

Die anderen vorgestellten westlich-verweichlichten Produktionen machten allerdings nicht den Eindruck als könnten sie eine nennenswerte Hörergemeinde vor dem Radio auch nur versammeln, geschweige denn sie in Stellung bringen. Gehorchen will in der Gemeinde ohnehin niemand mehr. Jochen Meißner

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