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Archiv-Artikel

Ohne Popcorn läuft kein Film mehr an

Eine ungleiche Kinobilanz: Trotz steigender Besucherzahlen gehen die Umsätze der Berliner Filmtheater zurück. Das liegt an hohen Kosten und niedrigen Preisen, und der Verdrängungswettbewerb unter den Kinoketten wird härter

Kosmos hin – Kosmos her. Das hat es schon eine längere Zeit nicht gegeben, dass sich die deutsche Filmbranche auf der Berlinale mit positiven Bilanzen zuprosten konnte. Wo normalerweise Depressionen angesagt sind angesichts des übermächtigen Hollywood oder der französischen Konkurrenz, strahlten diesmal die Gesichter der Produzenten, der Filmemacher und selbst einiger Kinobesitzer. Deutsche Produktionen waren „in“ im letzten Jahr, amerikanische dagegen weniger.

Nicht nur aus diesem Grund nahm Berlinale-Chef Dieter Kosslick diesmal weniger US-Streifen und mehr deutsche in den Wettbewerb und das Panorama. Es war auch die Verbeugung vor der Qualität, der „größeren Vielfalt“ auf dem deutschen Filmmarkt und dem Publikum, so Kosslick. „Good bye, Lenin!“, „Das Wunder von Bern“ oder „Der Untergang“ waren oder sind Renner an der Kinokasse.

Dennoch kann der Berlinale-Zauber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im deutschen Kinoalltag – speziell in Berlin – recht paradox aussieht. Zwar gingen laut der Erhebung der Filmförderungsanstalt (FFA) bundesweit 2004 rund 156,7 Millionen Zuschauer in die Filmtheater. Das waren gut 5 Prozent mehr als im für die Kinokasse enttäuschenden Vorjahr 2003. Die Berliner Filmtheater (101 Standorte und 298 Leinwände) verzeichneten im gleichen Zeitraum ebenfalls mehr Besucher als 2003. Der Anstieg von rund 11,4 auf 11,5 Millionen fiel zwar etwas weniger dynamisch aus. Angesichts der DVD-Industrie und des erneuten Niedergangs von gleich mehreren Kinos rund um den Kurfürstendamm sei das ein Erfolg, sagen Insider.

Gleichwohl klagen Berlins Kinobetreiber über sinkende Umsätze. Wurden 2002 fast 71 Millionen Euro in den Betrieben am Potsdamer Platz, den neuen Multiplexen in den Ostbezirken und den Off-Kinos der Stadt umgesetzt, sank die Zahl bis 2004 auf 63,8 Millionen Euro, so ermittelte die FFA.

Die Ursachen dieser Entwicklung liegen für den Geschäftsführer des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater (HDF), Kramer, in den „Konzentrationen und Konkurrenzen auf dem Kinomarkt“. Nach wie vor existiere ein kostenintensiver Verdrängungswettbewerb unter den Kinoketten Cinestar, UCI, der UFA und dem Cinemaxx. Kaum ein Haus verkaufte noch Eintrittskarten zu kostendeckenden Preisen, sondern verlegte sich auf täglich wechselnde Sondertarife und billige „Aktionstage“ wie den „Kinotag“ am Montag.

Zugleich reagierten bestimmte Häuser nicht auf die „sich wandelnden Bedürfnisse“ von Besuchern, so der HDF-Geschäftsführer. Insbesondere die Multiplexe, die für junge Kinofans gebaut wurden, würden von älteren Filmbesuchern wegen ihrer Atmosphäre immer mehr gemieden. Diese wanderten jetzt in jeweils ihnen gemäße Filmtheater ab und ließen die Rendite der früheren Adressaten ins Minus rutschen. Kramer: „Angesichts unserer immer älter werdenden Gesellschaft kommt ein großes Problem auf diese Multiplexe zu, die sich nicht verändern.“

Die ungleiche Balance zwischen hohen Besucherzahlen und rückläufigen Umsätzen ist schließlich darauf zurückzuführen, dass die Filmtheater mit immer höheren Kosten auf dem Miet- und Ausstattungssektor und gegenüber den Verleihern belastet werden. Und wer als Kino seine traditionelle Rolle zu ernst nimmt und nicht auf den steigenden Verkauf von Popcorn, Tapas und Cola setzt, hat nichts zu lachen. Mittlerweile trägt manches Popcorn ein Kino mehr als die Eintrittskarte.

ROLF LAUTENSCHLÄGER