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Ohne Furcht und Tadel

■ Harald Juhnke hat sein Meisterstück abgeliefert: einen exzellenten "Hauptmann von Köpenick" (Samstag, 20.15 Uhr, ARD)

Schmuck sieht er aus, auch in seiner Uniform. Daß man Harald Juhnke früher oder später einmal den „Hauptmann von Köpenick“ anbieten würde, war abzusehen. Daß er als Zugabe zum Premierenapplaus einen Alkoholexzeß hinlegen würde, mußte die Berliner Theaterbühne seinerzeit als unvermeidlich mit buchen. Und daß sich die ARD von all dem nicht schrecken ließ und dem Genesenen ein Remake des Zuckmayer-Stücks anbot, war konsequent und völlig ungefährlich. Im Fernsehen liegen Drehschluß und Premiere beruhigend weit auseinander.

Grund zum Saufen hätte Harald Juhnke heute nacht allemal. Er macht seine Sache nämlich ausgezeichnet. Trotz (oder gerade wegen?) der Bürde, sich nicht nur an dem so volkstümlich wirkenden Stoff, sondern auch noch an jenem Wilhelm Voigt abzuarbeiten, dem Heinz Rühmann 1956 in einer vielgelobten Verfilmung seinen Stempel aufdrückte. Ausgerechnet der Volksschauspieler Rühmann! Vielleicht der einzige, der Harald Juhnke auf seinem Weg zum „König der Herzen“ noch gefährlich werden könnte. Juhnke emanzipiert sich von der Vorlage mit einem gewaltigen Satz. Während die Nachkriegsfassung von Helmut Käutner vor allem den Aspekt der Militär-Groteske betonte und den traurigen La-Li-Lu-Clown Rühmann den Befehlsstaat verulken ließ, legt Juhnke seine Rolle theatral und bleischwer an.

Seine Regisseure Frank Beyer und Wolfgang Kohlhaase schrecken nicht vor Pathos zurück. Gradlinig und bestimmt führen sie Juhnke und das so oft erzählte Zuckmayer-Stück zu seinen Wurzeln zurück. Ein Mann wird in den Mühlen der Bürokratie zerrieben. Ohne Paß keinen Aufenthalt, ohne Aufenthalt keine Arbeit, ohne Arbeit keinen Paß. Man kennt das. Literaturverfilmungen haben es im Fernsehen nie leicht gehabt, aber im Amüsierbetrieb der Spätneunziger müssen sie sich noch präziser legitimieren können.

Juhnkes Schustergeselle sucht sein Glück nicht in der Militärposse, sondern im Sozialstück und findet damit diskret den Anschluß ans Heute. Wie der zur Bewährung Entlassene hartnäckig seine Resozialisierung in die Hand nimmt und immer wieder abgewiesen wird – beim stolzen Uniformschneider, auf dem klassenbewußten Paßamt, in seinem kleingeistigen Heimatdorf –, das rührt regelrecht an.

Und das Personal des wilhelminischen Soldatenstaates wurde so aufwendig besetzt, daß es keine wilhelminischen Knallchargen zu sehen gibt: Da kommandiert Rolf Hoppe als Sedan-erfahrener Gefängnisdirektor, Udo Samel und Elisabeth Trissenaar lassen sich als Oberbürgermeister nebst Gattin wunderbar erhaben und verzweifelt abführen, Katharina Thalbach leiht ihre siechen Augen mal wieder einer hart arbeitenden Arbeiterfrau, Voigts Schwester Marie, und Hark Bohm gönnt sich im Schlußakt ein kleines Gastspiel als Kriminalkommissar. Sie alle halten gegen den fast schon übertrieben unterspielenden Juhnke, wo er allzusehr im Fatalismus badet, und stärken ihn, wo er sich anschickt, kleine Momente still auszuhalten. Die schwierige Wandlung vom subalternen Wilhelm Voigt zum machtbewußten Hauptmann gelingt ihm trefflich, vielleicht weil ihm die „gediente“ Berliner Schnauze so liegt. Juhnke vollzieht den Wandel von einem Augenblick zum anderen, und er braucht dafür keine Uniform mehr: Er macht es allein mit Schauspiel.

Der Voigt ist Juhnkes Paraderolle – und nicht Falladas „Trinker“. Denn bei allen medizinischen Parallelen hat Juhnke dann doch nicht viel gemein mit dem braven Bürger, der langsam zum Trunkenbold verfällt. Aber diese Köpenickiade, dieses Hin und Her zwischen genialem Staatsschauspieler und großmannssüchtigem Sinatra- Verschnitt, der abrupte Wechsel von Stand- und Spielbein, unten und oben – das liegt ihm. Klaudia Brunst

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