: Oh, marode Götterwelt
Am dritten Abend von Richard Wagners „Ring“ steht ein brennender Mercedes auf Dortmunds ungeliebter Opernbühne. Musiktheater-Chefin Christine Mielitz inszeniert den modernen „Siegfried“
VON REGINE MÜLLER
Was ist eigentlich los mit der Wagner-Gemeinde? Da wird in Dortmund ein neuer „Ring“ geschmiedet und keiner geht hin? Schon in der zweiten Vorstellung von „Siegfried“ gähnten peinlich große Lücken im Zuschauerraum, in der Premiere soll es auch nicht viel besser gewesen sein. Gewiss, überregionale Aufmerksamkeit hat der Dortmunder „Ring“ bislang nicht geerntet, obwohl Regisseurin Christine Mielitz vor einigen Jahren mit einem „Ring“ im thüringischen Meiningen Theatergeschichte schrieb und Publikum und Presse in Scharen in die Provinz zog.
Dort bestand die Sensation freilich darin, dass ein solch kleines und zuvor übersehenes Theater dies überhaupt zu leisten imstande war. Von einem mittleren Haus wie Dortmund darf man Wagner erwarten, aber offenbar verspricht man sich nicht viel davon. Man wird in Dortmund auch den Verdacht nicht los, dass das Theater ein vernachlässigtes, wenig geliebtes Kind der Stadt ist. Unlängst kündigte das zuständige Parkhaus den seit Menschengedenken geltenden Theatertarif auf und rechnet nun saftige Stundenbeträge ab. Das läppert sich bei einem Wagner-Abend ganz schön und verärgert das Publikum. Den Parkhaus-Betreibern ist das egal, den Kulturverantwortlichen der Stadt anscheinend auch.
Dabei gewinnt der Dortmunder „Ring“ mit „Siegfried“ endlich an Zugkraft und Dichte in der Personenführung. Noch immer ist keine These, kein verzahnendes Konzept auszumachen, noch immer drehen sich die wenig sprechenden Aufbauten (Bühne: Stefan Mayer) zu oft im Leerlauf und wieder verweist eine lädierte, diesmal sogar brennende Mercedes-Limousine auf etwas, das sich uns nicht erschließt. Der RAF-Anschlag auf Herrhausen oder die Pariser Banlieus? Suchte man in der „Walküre“ noch nach fehlenden Assoziationsadressen, wird nun klar, dass Mielitz‘ Grundidee sich in eher schweifend-kommentierenden Bildern und im Atmosphärischen findet. Die Geschichte bleibt in zeitloser Theaternacht angesiedelt, die mit schwarz-weißen Bauten möbliert ist. Menschen im naturbelassenen Zustand tragen lange Haarmähnen, Menschen der (kapitalistischen?) Gesellschaft Kurzhaar und schwarz-weiß halbierte Anzüge. Den Rest erklärt die ausgefeilte Personenregie: Mime (Jeff Martin) ist ein zwanghafter Hypertoniker, der Wanderer (Béla Perencz) weiß schon, dass er verlieren wird und Alberich ist finster verzweifelt. Die Herren sind in der Abwärtsspirale, während Siegfried (Jürgen Müller) endlich einmal nicht der lärmende Tumbe ist. Kein bloßer Kraftprotz, der sich den Weg frei haut, sondern einer, der mit insistierenden Fragen sein Umfeld nervt und einfach restlos alles wissen will.
Brünnhildes (Milena Butaeva) kurzer Auftritt nach ihrer Erweckung durch Siegfried bringt eine überraschende Wendung: als das Paar sich findet, springt es von der Bühne und zieht den Vorhang hinter sich zu. Kurz sieht es so aus, als wollten Brünnhilde und Siegfried türmen, weglaufen aus der fatalen Geschichte von Göttern, Verträgen und dem schnöden Gold, hinein ins Zweierglück. Doch daraus wird nichts, Brünnhilde schaut durch einen Vorhangspalt zurück auf die marode Götterwelt und flugs geht der Vorhang wieder auf, der zerstörerische Auftrag geht vor.
Musikalisch erfreut der Abend über weite Strecken, vor allem überzeugt Jürgen Müllers fulminanter, unforcierter und enorm spielfreudiger Siegfried. Von den finsteren Herren „Mime“, „Wanderer“ und „Alberich“ beeindruckt Jeff Martins wieselflinker „Mime“ am meisten. Milena Butaevas Brünnhilde zeigt imponierendes Stimmmaterial, lässt aber Verhärtungen und Schärfen hören. Arthur Fagen im Graben hat sich freigeschwommen und begleitet fast durchweg tadellos, wenn auch noch immer noch zu sparsam im Affekt.
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