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Oh Kraut, oh Rüben

■ Warum machen Predigten nur so durcheinander im Kopf?

Der Pastor, der gestern in St. Ansgarii (Hollerallee) die Kanzel erklomm, war sich zum Teil der erschreckenden Möglichkeit bewußt: Daß seine Predigt von der Gemeinde nicht verstanden werden würde. Um dem vorzubeugen, gab er allen ZuhörerInnen den Ratschlag, die Hände demonstrativ hinter die Ohren zu legen, falls sie ihm akustisch nicht folgen könnten. Dann werde er lauter predigen. Leider vergaß der Pastor, dabei an die Gemeindeglieder zu denken, die ihm inhaltlich nicht ganz folgen können würden. So waren diese im Lauf der Predigt auf sich selbst zurückgeworfen: Sollten sie sich vielleicht demonstrativ beide Ohren zuhalten oder aber den Kopf rhythmisch hin-und herschütteln? Oder — wie gehabt — gesittet in die innere Emigration gehen?

Thema seiner Predigt war “des Paulus Hoffnung und Sehnsucht nach der himmlischen Heimat“. Dazu fiel dem Pastor die Frau im Seniorenhaus ein, die er letztens besucht hatte. An der Wand habe sie Erinnerungsfotos hängen. Darunter das von ihrem einzigen Sohn, der 1945 an der Ostfront gefallen sei. Ihre Lebensfundamente seien eingerissen.

Wir lernen: Diese Frau, sie macht es falsch, sie lebt nur noch in der Erinnerung. Im Gegensatz zu Paulus, der macht es richtig. Denn Paulus „fragt nach dem Heute und dem Morgen“. Bei ihm beobachten wir „dieses Ausgestrecktsein auf das Kommende.“

Und, lehrt uns der Pastor weiter, Paulus kann gleichzeitig noch 'was anderes: „Er flieht die Welt nicht. Er vernachlässigt die Gegenwart nicht.“ Und wie schafft Paulus, dieser alte Kämpe, sich auf das Himmelreich zu freuen und gleichzeitig in der Gegenwart seinen Mann zu stehen? Ohne jenseitssehnsüchtig zu werden und ohne in Depression zu verfallen? Das verrät uns der Pastor nebenbei, quasi als kleinste Nebensache der Sakristei: „Mit der Kraft des Glaubens.“ Naja, das hätten wir uns fast gedacht.

Im nächsten Abschnitt lernen wir, daß Volkstrauertag ist und daß die Marschsäule der gefallenen Soldaten, der ermordeten Frauen, Kinder und Männer so lang ist wie die Strecke von Bremen bis Warschau. Wieder lernen wir, daß Erinnern nicht genügt. Der Pastor rät kurzum, nach vorne zu blicken: „Wir sollten uns von Paulus inspirieren lassen.“

Tja. Liebe Gemeinde, und wer durch diese knappen richtungsweisenden Sollsätze noch immer nicht inspiriert ist, wer nicht ab sofort optimistisch durchs Leben und freudig in den Tod geht, für die oder den hat sich der Pastor wohl nicht deutlich genug ausgedrückt. Die oder der wackle doch bitte nächstens mit dem Kopf oder halte sich deutlich sichtbar mit beiden Händen die Ohren zu. Damit der Pastor endlich merkt, daß es nicht nur an der Akustik liegt. Barbara Debus

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