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Oh Kati ...!

■ Der Eisstar des Ostens im Kaufhaus des Westens

„Der Kapitalismus ist parasitär, faulend und sterbend“, bekamen wir im Staatsbürgerkundeunterricht eingetrichtert. Die Kuh muß man melken, solange sie noch lebt - scheint die Devise(n) der DDR zu sein. Und an der vordersten Front in diesem Klassenkampf schlittert die schöne Katharina Witt mit.

Gestern, kurz vor 16 Uhr: Eine quirlige Menschentraube umlagert den Büchertisch im KaDeWe, wo sie gleich ihr Buch „Katharina - Eine Traumkarriere auf dem Eis“ signieren soll. Eine Dame verkündet: „Jetzt ist sie oben in der Lebensmittelabteilung. Sie wurde gefragt: 'Kati, was willst du essen, was Süßes oder was Saures?‘ 'Ne Wurscht!‘, hat sie gesagt.“

Ein Mann hinter mir: „Wenn sie kommt, werden wir alle klatschen. Sie hat uns ja soviel Freude gemacht im Fernsehn. Kinder fangen an zu greinen. Omas laufen rot an. Die KaDeWe -Feuerwehr behält die Übersicht. Die Rolltreppen werden gestoppt. Sport-Uninteressierte Konsumenten fangen an zu fluchen. Zivile Walkie-Talkie-Männer und Polizisten stehen im Hintergrund. Die Kasse piept. „50 Stück sind verkauft“, raunt ein Angestellter.

„Jetzt kommt sie!“ - „Wie im Fernsehn sieht sie aus!“ Die SED-Genossin setzt sich vor die KaDeWe-Fahne. Sie spricht in ein grünes Mikrophon. Nichts ist zu hören außer dem Schreien der Sicherheitsleute. Die Trainerin reicht ihr die Bücher, und sie schreibt mir rein: Für Rüdiger! (!) Katharina Witt. Und jetzt! Sie lächelt mir zu! Geistesgegenwärtig zwinkere ich, sie zwinkert zurück! Ich hab‘ es gewußt, sie ist eine von uns! Katharina, wir werden es schaffen!

Glücklich verlasse ich das Haus. Unten geht der Konsum seinen kapitalistischen Gang. Ich bin schweißgebadet. Meine Frage nehme ich wieder mit nach Hause: „Katharina, was wirst du für dein Geld hier kaufen?“

Rüdiger Rosenthal

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