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Offener Brief

■ Ihr Deutschen,

Ihr ehrt und gedenkt Heine und Brecht, beide aus Liebe in Exil und Wahnsinn getrieben, aus Sorge ums Vaterland nachts um den Schlaf gebracht – doch wer denkt nachts noch an Deutschland, geschweige denn am Tage?

Die Söhne unserer Demokratie verraten die Väter unserer kostbar erlittenen Freiheit. Sie belauschen uns, verkaufen im Dienste der Wirtschaft den Sozialstaat, schieben und fertigen Flüchtlinge und Bedürftige ab, fördern nur noch, was und wer sich lohnt, kündigen zukünftigen Generationen die Verträge, verraten Ideale, hofieren die Gestrigen, propagieren das Mittelmaß, heucheln und lügen.

Die von Euch Gewählten verpfänden die Zukunft Eurer Kinder. Sie spachteln an Bildung und Kultur, billigen Verfall von Forschung und Lehre, basteln eilig an Reformen. Die von Euch Bezahlten greifen zu, bar jeder Verantwortung. Sie kürzen und biedern sich an, lesen Unternehmen von den Lippen, verprellen Rechte der Arbeit und sichern ihr eigenes Auskommen.

Die von Euch Ignorierten sind dankbar für Euer Desinteresse. Um so leichter erkaufen Sie Eure Stimmen mit Versprechen, die keiner beabsichtigt zu halten.

Die von der Verfassung Bestellten haben keine Moral. Sie beugen Gesetze im Interesse der sogenannten Nation. Sie treten moralische Grundsätze und Menschenrechte mit Füßen im Interesse der sogenannten inneren Sicherheit.

Seicht wälzt Ihr Euch in einer unerträglichen Lethargie. Ihr seht weg, betäubt Euch mit Selbstmitleid und vergeßt den gebotenen Widerstand. Erhebt Euch, greift zu Gedanken, Worten und Steinen. Erschlagt damit Eure Ohnmacht und legt sie ans Fundament unserer Freiheit – bevor Eure Kinder fragen können: „Was habt Ihr getan... Marcus Wieschhoff, Bonn

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