Offener Brief an die neue Koalition: Angst vor Rückschritt
Von Schwarz-Rot erwartet die Zivilgesellschaft im Bereich Diversity nichts Gutes – die Messlatte hängt seit der Koalition von R2G ziemlich hoch.
„Wir machen uns große Sorgen um die Zukunft unserer pluralen Berliner Stadtgesellschaft und die vielen Errungenschaften, die in den letzten Jahren erarbeitet wurden und strukturell zu spürbaren Verbesserungen beigetragen haben“, sagt Daniel Gyamerah von Eoto. Der Verein setzt sich für Schwarzes Empowerment ein und hat den Brief mit unterzeichnet.
Bislang stehen 17 Gruppen hinter den Forderungen, darunter der Migrationsrat Berlin, die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, neue deutsche organisationen und RomaTrial.
Eine wirksame Antidiskriminierungspolitik, so betonen sie alle, liege im Interesse nicht nur einzelner Interessenvertreter*innen, sondern diene der gesamten Gesellschaft. „Sie betrifft die unterschiedlichen Geschlechter genauso wie die Queere Community, Menschen von Jung bis Alt, mit Behinderung oder Einwanderungsgeschichte“, schreiben sie.
Keine hohen Erwartungen an die Sondierungspapiere
Daher werde man genau verfolgen, was CDU und SPD zum Thema zu sagen haben. Als Messlatte nehme man die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag von R2G, die in den letzten eineinhalb Jahren noch nicht umgesetzt wurden.
Dazu zählt etwa die Einführung eines Wahlrechts für Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft auf kommunaler und Landesebene, die Umsetzung des Partizipationsgesetzes oder der Einsatz auf Bundesebene für eine Novelle des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes.
Dass von Schwarz-Rot nicht viel Gutes zu erwarten ist, befürchtet Edwin Greve vom Migrationsrat, spätestens seit er das Sondierungspapier beider Parteien gelesen hat. „Darin gibt es zwar einen Abschnitt zu Berlin als Stadt der Vielfalt, aber das einzig Konkrete ist, dass das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) erhalten bleiben soll“, fasst er zusammen.
Immerhin ein Fortschritt, könnte man zynisch anmerken, schließlich hatte die CDU im Wahlkampf noch die Abschaffung des bundesweit einzigartigen Gesetzes gefordert. „Aber sonst steht da gar nichts“, stellt Greve fest.
Wichtige Vorhaben werden nicht kommen
So befürchten die Organisationen, dass wichtige Vorhaben nun nicht mehr kommen – wie etwa das Landesdemokratiefördergesetz, mit dessen Entwicklung unter R2G begonnen wurde.
Dieses Gesetz soll die finanzielle Förderung von Organisationen und Vereinen, die insbesondere in den Feldern Antidiskriminierung, Demokratieförderung, Opferberatung und Empowerment arbeiten, strukturell und langfristig sichern, damit sie nicht mehr alle zwei Jahre um ihre Berücksichtigung im neuen Doppelhaushalt bangen müssen.
Auch Gyamerah befürchtet Rückschritte bei der Finanzierung. „Unter R2G gab es immer mehr Aufwuchs“, sagt er, „auch für Community-Organisationen“ – also solche, die sich um gruppenspezifische Interessen kümmern.
Sie vermehrt zu unterstützen ist eine neuere Entwicklung – geboren aus der Erkenntnis, dass etwa Antischwarzer Rassismus, antmuslimischer Rassimus oder Antiziganistismus je spezifisch und vor allem durch Stärkung der jeweiligen Community bekämpft werden sollten.
Antikolonialistische und rassismuskritische Bildung
Der bisherige Senat wollte daher auch ein Schwarzes Community-Zentrum fördern und im Rahmen der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft eine Strategie gegen Antischwarzen Rassismus entwickeln.
Beides – Haus und Strategie – sei für die Schwarze Community Berlins „immens wichtig“, sagt Gyamerah von Eoto. „Und natürlich haben wir jetzt Angst vor einem Rückschritt.“ Vereinen, die andere Communitys vertreten, gehe es derzeit genauso.
Als wichtigste Punkte aus dem alten Koalitionsvertrag, deren Umsetzung man auch von Schwarz-Rot erwartet, nennt Greve neben dem Demokratiefördergesetz die Weiterentwicklung des LADG. „Wir müssen die Klagemöglichkeiten verbessern und die Ombudsstelle ausbauen, die kann die vielen Anfragen gar nicht zeitnah bearbeiten“, sagt er.
Auch das Vorhaben der alten Koalition, die Berliner Schulen diskriminierungsfreier zu gestalten, findet Greve zentral. Fortbildungen müssten ausgebaut, Lehrpläne im Sinne antikolonialistischer und rassismuskritischer Bildung erneuert werden, Lehrkräfte dafür aus- und weitergebildet werden. „Bislang ist der deutsche Kolonialismus noch kein fester Bestandteil des Lehrplans“, erklärt er.
Das Grundrecht, nicht diskriminiert zu werden
Besonders positiv heben die Organisationen in ihrem Offenen Brief die Arbeit der von Lena Kreck (Linke) geführten Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung hervor. Sie sei „insbesondere im letzten Jahr einen vielversprechenden Weg gegangen, der weitergeführt werden muss, da er einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, der Antidiskriminierungsrecht als Recht aller begreift“.
Indem R2G die Antidiskriminierungspolitik an das Justiz-Ressort angedockt habe, sei das Thema „viel höher gehängt und zur Querschnittsperspektive erklärt worden“. Auch hier, befürchtet er, könnte die neue Koalition viel kaputt machen – allein indem sie den Ressort-Zuschnitt ändert und so für Stillstand sorgt.
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