: Offener Brief an Iris Blaul, Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, Bonn
an Frau Iris Blaul, Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, Bonn
Wir, die Mitarbeiterinnen von Wildwasser Gießen e.V., begrüßen es sehr, daß von Seiten Ihres Ministeriums verstärkte Anstrengungen unternommen werden, der Kindesmißhandlung und dem sexuellen Mißbrauch an Kindern entgegenzutreten.
Wir können allerdings nicht verstehen, daß die Summe von 500.000 DM, die Ihr Ministerium (laut Artikel in der tageszeitung vom 3.4.92 „Kein Küßchen mehr für Onkel Paul“) bereitstellen will, überwiegend für Information und Aufklärung in Form von Plakaten, Aufklebern, Kinospots etc. verwendet werden soll, ohne daß gleichzeitig im Bereich der Hilfe, Beratung und Betreuung Betroffener und mit dem Thema konfrontierter Fachkräfte deutlich mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Der Haushaltstitel „Hilfe für das mißhandelte Kind“ umfaßt hessenweit gerade mal 400.000 DM. Das ist viel zu wenig, um den Bedarf auch nur annähernd zu decken. Unsere Beratungsstelle in Gießen beispielsweise ist sei Monaten ständig ausgebucht, wir müssen Betroffene auf Wochen hinaus vertrösten. In anderen Institutionen sieht es ähnlich aus. Wir gehen davon aus, daß aufgrund der von Ihnen initiierten Kampagne noch mehr Nachfragen an uns gerichtet werden und noch mehr Beratungs- und Betreuungsbedarf entstehen wird.
Wohin aber sollen die durch Ihre Kampagne Angesprochenen sich wenden, das heißt einerseits betroffene Kinder selbst, andererseits aber auch Fachkräfte wie KindergärtnerInnen und LehrerInnen?
Wenn Sie nicht wollen, daß Hilfesuchende ins Leere laufen, muß Ihr Ministerium unbedingt gleichzeitig zur anlaufenden Kampagne auch verstärkt Mittel für die Beratung einsetzen.
Wir, Wildwasser Gießen e.V., Arbeitsgemeinschaft gegen den sexuellen Mißbrauch an Mädchen, fordern Sie daher auf, einen Teil der eingesetzten Mittel umzuwidmen oder zusätzliche Mittel bereitszustellen und damit beratende und betreuende Institutionen wie Wildwasser in ihrer wichtigen Arbeit zu unterstützen. Dr. Christine Raupp,
Wildwasser Gießen e.V.
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