: Offene Kritik an Ceausescu
■ Silia Prukan, Professor an der Universität Bukarest und KP–Mitglied, kritisiert die Regierungspolitik scharf / SPD fordert Maßnahmen gegen „Terror–Regime“
Bukarest/Berlin (taz) - Am Samstag hat erstmals seit den Protesten rumänischer Arbeiter am 15.November in Kronstadt (Brasow) ein hoher rumänischer Funktionär zu den Unruhen Stellung genommen. Silia Prukan, ordentlicher Professor für Soziologie an der Universität Bukarest, erklärte über Radio den verdutzten Zuhörern, die der Bevölkerung auferlegten Entbehrungen hätten ihren Höhepunkt überschritten, es sei die Zeit gekommen, wo „die Arbeiterklasse nicht mehr bereit ist, sich wie unterwürfige Diener behandeln zu lassen“. Die Sparmaßnahmen der Regierung verlangten von den Arbeitern, freiwillig im Bett zu erfrieren. Es sei jetzt an der Staatsführung zu entscheiden, ob sie eine Politik der massiven Un terdrückung einleitet oder ernsthafte Bemühungen zeigt, den legitimen Forderungen entgegenzukommen, erklärte Prukan. Angeblich soll Kronstadt inzwischen bevorzugt mit Lebensmitteln beliefert werden. Neben den Lohnkürzungen hatten sich die Arbeiter auch gegen die schlechte Versorgungslage gewandt. Für osteuropäische Verhältnisse ist einzigartig, daß sich Prukan, der sich vor seiner Uni– Karriere als Botschafter in den USA profilierte, nicht des Bukarester Rundfunks bediente, dessen zeitweiliger Direktor er ebenfalls schon war, sondern seine Kritik an den Maßnahmen der Staatsführung über den CIA–nahen Propagandasender Radio Free Europe veröffentlichte. Der in München stationierte Sender erreicht mit seinem rumänischen Programm täglich mehrere Millionen Zuhörer, da im Zuge von Energiesparmaßnahmen Staatschef Ceausescu die rumänischen Störsender abschalten ließ und damit einen ausgezeichneten Empfang des Westsenders ermöglichte. Fortsetzung Seite 6 Der Autor des Buches „Die sozialistische Welt am Scheideweg“ genießt nach Einschätzung von Beobachtern ein hohes Ansehen unter den rumänischen Partei– Mitgliedern. In Bonn hat sich am Samstag die SPD dafür ausgesprochen, daß die Regierungen in Ost– und Westeuropa gemeinsam Front gegen das „Terror–Regime“ des rumänischen Staats– und Parteichefs Ceausescu machen. Die inneren Verhältnisse in Rumänien hätten unter der „Zwangsherrschaft“ des Ceausescu–Clans ein unerträgliches Ausmaß angenommen, erklärten die SPD–Abgeordneten Scheer und Ganseforth. „Es gibt kein Land in Europa, in dem die individuellen und sozialen Menschenrechte auch nur annähernd so mißachtet werden wie in Rumänien“, heißt es in der SPD–Erklärung. Das Ende der Tyrannei müße ein Anliegen von Ost und West zugleich sein. „Es darf nicht sein“, resümieren die beiden Parlamentarier, „daß der Westen in seiner Kritik an den rumänischen Zuständen reservierter ist als Gorbatschow“.
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