Off-Kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
1983 fuhr Wim Wenders mit der Kamera nach Tokio und begab sich auf die Spuren seines Lieblingsregisseurs Yasujiro Ozu. Sein Tagebuchfilm „Tokyo-ga“ erzählt jedoch nicht nur Interessantes über Ozus Kino (unter anderem in Interviews mit dem bescheidenen Schauspieler Chishu Ryu, der in den meisten Ozu-Filmen auftrat, und dem Kameramann Yushun Atsuta), er dokumentiert auch die Veränderungen in Tokio zwanzig Jahre nach Ozus letztem Werk. Zudem gibt „Tokyo-ga“ einen guten Einblick in Wenders’ Art zu denken und zu filmen: Es geht um den Respekt vor dem Bild in einer schnelllebigen Zeit der Bilderfluten. Eine umfangreiche Wenders-Retrospektive zeigt das Babylon Mitte im Juli.
Es hat lediglich 64 Jahre gedauert, bis man sich bei Disney zu einer Fortsetzung des Meisterwerks „Bambi“ aus dem Jahr 1942 entschlossen hat. Doch von der Vermarktungsstrategie der Abteilung Disney Toon Studios, die sich ausschließlich mit der Herstellung von meist direkt auf Video und DVD landenden Sequel-Filmen beschäftigt, bleibt letztlich eben nichts verschont. Der Vergleich mit dem Originalfilm verbietet sich allerdings fast von selbst: Ist „Bambi“ doch ein wirkliches Kunstwerk, dessen zeichnerische Qualität in der Darstellung eines Jahres- und Lebenszyklus im Wald ein unübertroffener Meilenstein in der Geschichte des Animationsfilms bleibt. „Bambi 2“ erweist sich hingegen als ein sehr sorgfältig gemachter, freundlicher Kinderfilm mit deutlich verniedlichten Figuren und gelungener Situationskomik, der mit der Erziehung des Hirschkalbs durch seinen Vater eine Episode erzählt, die das Original ausspart.
Eine interessante Studie über die Entfremdung eines Ehepaares schuf Roberto Rossellini 1953 mit „Viaggio in Italia“. Dabei kam es der Geschichte einer Ehekrise, die ein englisches Paar in Italien durchlebt, ungeheuer zugute, dass sich die Hauptdarsteller bei den Dreharbeiten tatsächlich extrem unbehaglich fühlten: Die damals mit Rossellini verheiratete Ingrid Bergman erzählte später oftmals, sie wäre sich vorgekommen wie eine Touristin im falschen Film – Rossellinis eigentliches Anliegen sei es wohl eher gewesen, die Ausgrabungen von Pompeji ins rechte Licht zu rücken. Und auch George Sanders, in Hollywood ein brillanter Darsteller kühler, sarkastischer Charaktere, war mit den Nerven am Ende, weil er mit Rossellinis Vorliebe für Improvisationen nicht zurechtkam. Am Ende entstand ein Film, der in seiner Stimmung Antonionis neurotische Charakterstudien um einige Jahre vorwegnimmt – und auch auf Rossellinis spätere Kulturfilme verweist.
Makabres Animationsmusical: In Henry Selicks Verfilmung von Roald Dahls „James und der Riesenpfirsich“ unternimmt ein kleiner Junge gemeinsam mit Insekten und Spinnen eine gefahrvolle Reise nach New York – und zwar in der überproportionierten, Titel gebenden Frucht. Während die Rahmenhandlung mit Schauspielern in stilisierten Dekors gedreht wurde, entstanden die fantasievollen Reisesequenzen als Stop-Motion-Animation mit Puppen.
LARS PENNING