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Oberlauf der Loire darf leben

Frankreichs Regierung legte das Staudamm-Projekt Serre-de-la-Farre zu den Akten / Dahinter steht die Erkenntnis, daß auch betonierte Flüsse Überschwemmungen verursachen  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Die UmweltschützerInnen können ihre Zelte in den kalten Bergschluchten bei Puy-en Velay abreißen. Fünf Jahre lang haben sie ihre Besetzung am Oberlauf der Loire im französischen Zentralmassiv durchgehalten – jetzt schafften sie den politischen Durchbruch: Am Montag entschied die Regierung, daß der Damm Serre-de-la-Farre, der die Loire auf den ersten 14 Flußkilometern stauen sollte, „definitiv nicht“ gebaut wird. Die Entscheidung über einen anderen Staudamm, den Veurdre am Loire-Zufluß Allier wurde bis 1998 auf Eis gelegt.

Grünes Licht gab die Regierung hingegen für zwei weitere Projekte in der Region: Die Arbeiten am Cambonchard am Loire-Zufluß Cher und am Naussack II am Allier sollen schon bald losgehen. Parallel beginnt ein großangelegter Versuch, die Loire wieder näher an ihren ursprüngliche Zustand zu bringen. Dazu sollen zwei alte Staudämme abgerissen und an allen Staustufen Durchlässe für flußaufwärts schwimmende Fische angelegt werden.

„Das ist das Ende der nationalen Staudammpolitik“, jubelte die Sprecherin des Komitees „Lebendige Loire“, Christine Jean. Zugleich bemängelte sie, daß die Regierung nicht konsequent gewesen sei, weil sie die weitere Befestigung der Loire-Mündung am Atlantik bewilligte.

Die Versuche, Frankreichs längstes Flußsystem zu bändigen, sind schon Jahrhunderte alt. Der erste Deich entstand im 12. Jahrhundert bei Anjou. Der Grund waren die häufigen Überschwemmungen der Loire-Ufer im Herbst und die Wasserknappheit im Sommer, unter der die Landwirtschaft und zunehmend auch die Trinkwasserversorgung der Städte leidet. Bei der letzten großen Überschwemmung der Loire im Jahr 1980 kamen acht Menschen ums Leben. Nach jener Katastrophe entstand der Plan, der jetzt zum Teil verworfen wurde.

Die Beton-Lobby, die von der Industrie und von großen landwirtschaftlichen Betrieben, aber auch von kommunistischen Bürgermeistern der Region unterstützt wird, argumentierte, daß nur Eindeichung und Staudammbau Sicherheit garantieren. Die UmweltschützerInnen warnen vor der Zerstörung der letzten intakten Flußlandschaft Frankreichs. Seit Anfang 1989 campierte ein Gruppe UmweltschützerInnen auf dem Gelände, wo der Serre-de-la-Fare mehrere Schluchten und ein Dorf überfluten sollte. Die BesetzerInnen wollten sich lieber von Bulldozern planieren lassen, als ihre Position aufgeben. Ihre Aktion fand großes politisches Echo. In dem kleinen Ort Puy-en-Velay vertreten UmweltschützerInnen inzwischen ein Viertel der WählerInnen. Auf nationaler Ebene mußten sich sämtliche Regierungen mit den StaudammkritikerInnen befassen.

Die KritikerInnen wiesen stets auf die schier endlosen Konsequenzen von Flußbefestigungen hin. So wurde noch jedesmal festgestellt, daß eine einzige Eindeichung nie reicht. Dank dieser Eigendynamik entwickelte sich Frankreich zum Europameister in Staudammbau und Flußeindeichung. Nur der Oberlauf der Loire und ein paar Wasserläufe in den Pyrenäen entgingen bislang dieser Betonier-Wut. Inzwischen ist jedoch unübersehbar geworden, daß selbst komplett domestizierte Flüsse wie die Rhône bei heftigen Überschwemmungen unweigerlich über die Ufer treten. Von daher rührt der Plan des konservativen Umweltministers Michel Barnier, ein Frühwarnsystem für die Loire einzurichten. Außerdem will er überschwemmungsgefährdete Industrien auf Staatskosten umsiedeln.

Der Fauna der Loire wird die Pariser Entscheidung zugute kommen. Die Wanderfische können den 1.012 Kilometer langen Fluß künftig wieder bis zur Quelle hinaufschwimmen. Doch bevor sie ihren Laich dort loswerden, müssen die Lachse und Alsen erst an der Raffinerie von Saint-Nazaire an der Mündung, der chemischen Industrie von Orléans und den vier Atomkraftwerken zwischen Chinon und Belleville vorbei.

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