Obdachlose am Rand der Gesellschaft: Mehr Empathie und Akzeptanz

Vom Rand in die Mitte. Wir diskutierten im Warmen Otto in Berlin: Wie offen sollte eine Gesellschaft gegenüber Obdachlosen sein?

Im „Warmen Otto“ in Berlin-Moabit diskutierten Wohnungslose, Engagierte und Interessierte Bild: Ann-Kathrin Liedtke

von MALAIKA RIVUZUMWAMI

„Einfach mal daneben knien, nicht nur sagen hier haste mal ’nen Euro und jetzt geh aus dem Weg!“ Viel zustimmendes Nicken geht durch den Raum, als ein freiwilliger Mitarbeiter der Berliner Bahnhofsmission ausspricht, was sich viele Wohnungslose wünschen: Empathie und Akzeptanz.

Hell erleuchtet, ein mit Blumen voll gestelltes Schaufenster: Mitten in Moabit liegt der „Warme Otto“. Eine Aufenthaltsmöglichkeit in einer warmen, ruhigen und geschützten Atmosphäre für Wohnungslose. Eine Kleiderkammer, warme Suppen und heiße Getränke werden angeboten.

An diesem kalten Donnerstagabend in der ehemaligen Berliner Eckkneipe soll diese „Randgruppe“ in unser Sichtfeld gebracht werden, denn sie lebt mitten unter uns. Grund für die taz, mit ihnen zu diskutieren und sie zu Wort kommen zu lassen. Bis zur Bundestagswahl im September tourt taz.meinland deshalb durch die Republik. Wir wollen wissen: Was ist hier eigentlich los?

Auf der Suche nach der Verantwortung

Laut Schätzungen von Hilfsorganisationen gibt es in Berlin zwischen 3.000 und 6.000 Menschen ohne festen Wohnsitz. Eine Dunkelziffer von Menschen, die mitten unter uns leben, aber viel zu selten zu Wort kommen. Müsste eine offene Gesellschaft nicht bedeuten, dass wir genau diese Menschen wahrnehmen und in unserer Mitte aufnehmen? Oft werden sie als Menschen abgestempelt, die sich aufgegeben haben, die nicht mithalten konnten und selbst gar nicht anders wollen.

Die Frage nach der Verantwortung taucht im Laufe des Abends immer wieder auf – einige meinen der Sozialstaat müsse es doch richten können oder wir sollten schlichtweg besser aufeinander aufpassen. Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission vom Berliner Bahnhof Zoo, stellt fest: „Geht es hier um die Frage nach der Zuständigkeit oder darum was die Leute wirklich von uns brauchten?“ Zustimmendes Gemurmel geht durch den Raum.

Bei Kaffee und Tee sind rund 40 Menschen gekommen, sechs Gesprächsteilnehmer waren eingeladen – es erscheinen, krankheitsbedingt, allerdings nur die Hälfte. Die taz-Meinungschefin Nina Apin moderiert den Abend und hat die Gesprächsrunde organisiert. Immer wieder wird von einzelnen Schicksalen gesprochen. Es wird schnell deutlich, wie viel jeder einzelne zu einer offeneren Gesellschaft beitragen kann. Seien es Spenden, ehrenamtliches Engagement bei Hilfsorganisationen oder die direkte Unterstützung in der Nachbarschaft.

Doch es gibt nicht nur Zustimmung: Immer wieder stehen Hilfsaktionen vor großen Hürden. Eine Rewe-Filiale am Moabiter Hansaplatz hat der Obdachlosenhilfe seit dem 1. Januar untersagt, ihren Parkplatz für die Essensausgabe zu nutzen. Hört die Hilfe vor der eigenen Haustür auf? Oder sind die Berührungsängste einfach zu groß?

Berührungsängste verlieren und Empathie zeigen

Zwar macht sich große Entrüstung breit, gleichzeitig auch Verunsicherung. Denn die Frage, wie man es besser machen kann, bleibt unbeantwortet. Die Diskussion wird emotional – auch Betroffene melden sich zu Wort:“ Wir bekommen Hilfe und das ist schön. Dafür bin ich dankbar. Doch trotzdem werden wir immer noch übersehen und vor den Augen aller vergessen!“. Bodo arbeitet im Warmen Otto mit, kümmert sich vor allem um die Kleiderkammer. Eigentlich war er ein stiller Zuhörer, führte uns zu vor durch die Räumlichkeiten.

Am Ende des Abends wird klar: Alle wissen, dass keine Stadt, erst recht keine Metropole, Obdachlosigkeit verhindern oder beseitigen kann. Aber das Berliner Hilfesystem ist nicht auf der Höhe der Zeit. Seit Langem schon hält es nicht mehr Schritt mit neuen Problemen wie wachsender Wohnungsnot, dem starken Zuzug von EU-Ausländern, der Unterbringung von Flüchtlingen.

Doch darum geht es auch nicht. Vielmehr um darum, dass die Gesellschaft einen Weg findet, Berührungsängste zu verlieren und Empathie zu zeigen. Um die Menschen vom Rand in unsere Mitte zu holen, wird es sowohl eigene Initiativen, als auch staatliche Hilfen benötigen.