■ Die Schule der Zukunft als ein „Haus des Lernens“?: O wäre es so! O würde es so!
Die Denkschrift, die Johannes Rau gestern der Öffentlichkeit übergeben hat, wird in der nächsten Zeit Furore machen. Sie ist das wichtigste bildungspolitische Dokument seit den Gutachten und Empfehlungen des Deutschen Bildungsrates Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre.
Das Kernstück der Denkschrift: Auf dem Hintergrund von „Zeitsignaturen“, der Welt der schnellen Flimmerbilder, des weltweiten Online, der wachsenden Arbeitslosigkeit, im Wissen um ökologische Bedrohungen, ökonomische Konkurrenzen, den multikulturellen Charakter moderner Gesellschaften wird Schule als ein „Haus des Lernens“ entworfen, das sich ausgesprochen einladend gibt. Schule ist nach diesem Konzept „ein Ort, an dem alle willkommen sind, die Lehrenden wie die Lernenden in ihrer Individualität angenommen werden“; „ein Ort, an dem Zeit gegeben wird zum Wachsen, gegenseitiger Rücksichtnahme und Respekt voreinander gepflegt werden“; „ein Ort, an dem Umwege und Fehler erlaubt sind und Bewertungen hilfreiche Orientierungen geben“.
O wäre es so! O würde es so! O komme ein breiter gesellschaftlicher Konsens zustande, daß in einer großen, gemeinsamen Anstrengung ein solches Haus des Lernens gebaut werde. Bildung, die in Deutschland immer widersprüchlicher zwischen Weimar und Buchenwald, zwischen Klassik und Katastrophe gedacht werden muß, Bildung würde dann dieses humane und solidarische Fundament erfahren, das uns in das nächste Jahrtausend tragen könnte. In den nun anstehenden Diskussionen wird es entscheidend sein, daß die vielen Einzelmaßnahmen, die auch in der Denkschrift empfohlen werden, daraufhin abgeklopft werden, ob sie wirklich tragende Stützpfeiler für ein so zu verstehendes Haus des Lernens sind. Solche Vorschläge sind zum Beispiel: Die Schulen sollen Schulprogramme und Schulprofile entwickeln. 40 Prozent des Curriculums sollen den Schulen zur eigenen Gestaltung zur Verfügung stehen. Die sechsjährige Grundschule soll stufenweise eingeführt werden.
Der Vorschläge gibt es noch mehr. Sie einzeln hier zu kommentieren ist ausgeschlossen. Der Einzelvorschlag ist auch nicht so entscheidend, sondern ob die Gesamtarchitektur für das Haus des Lernens stimmt. Wenn Pädagogik und Bildungspolitik nicht mehr auf das Unter-Richten ausgerichtet ist, sondern auf das Auf-Bauen von Menschen in dieser neuen Lernarchitektur, dann sage ich „ja“ zur Zukunft einer solchen Bildung, zu einer solchen Schule der Zukunft. Otto Herz
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